Leitsatz (amtlich)

1. Gemäß § 50 Abs. 4 StrWG M-V sind für die Reinigung der innerhalb geschlossener Ortschaften gelegenen öffentlichen Straßen die Gemeinden - die zugleich nach § 14 StrWG M-V Träger der Straßenbaulast für die Gemeindestraßen sind - zuständig, sofern diese ihre Verpflichtung nicht per Satzung auf Dritte, insbesondere Grundstückseigentümer delegieren.

2. Aus der in § 127 Abs. 1 Satz 2 KV M-V geregelten gesetzlichen Aufgabendelegation ergibt sich keine abweichende Zuständigkeit des Amtes für die Räum- und Streupflicht der innerhalb einer amtsangehörigen Gemeinde gelegenen öffentlichen Straßen. Die Zuständigkeit des Amtes für die Räum- und Streupflicht in einer amtsangehörigen Gemeinde kann begründet sein, wenn die Gemeinde dem Amt diese Aufgabe durch einen entsprechenden Willensakt überträgt.

3. Gemäß § 50 Abs. 2 StrWG M-V gehört zu der Reinigung auch die Schneeräumung auf den Gehwegen und Überwegen für Fußgänger, sowie bei Schneeglätte und Glatteis das Bestreuen der Gehwege und Fußgängerüberwege. Für Fußgänger sind innerhalb einer geschlossenen Ortschaft grundsätzlich alle diejenigen für den Fußgängerverkehr wichtigen Gehwege zu sichern, auf denen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet.

4. Bei einer Übertragung von Verkehrssicherungspflichten auf Grundstückseigentümer verbleibt bei dem ursprünglich Sicherungspflichtigen eine eingeschränkte Verkehrssicherungspflicht, die darin besteht, den Übernehmer zu kontrollieren und zu überwachen. Es ist zu fordern, dass sich die Gemeinde durch stichprobenartige Kontrollen ein Bild davon macht, ob die Anlieger die ihnen durch Satzung übertragene Winterdienstpflicht wahrnehmen. Ist eine Gemeinde bei den ihr obliegenden Kontrollen, durch Hinweise oder auf sonstigem Wege auf Verstöße der Anlieger gegen die Satzung aufmerksam geworden und ist mit deren Wiederholung zu rechnen, ist sie zum Einschreiten ggf. im Wege der Ersatzvornahme verpflichtet.

 

Normenkette

StrWG MV §§ 14, 50 Abs. 2, 4; KomVerf MV § 127 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Rostock (Urteil vom 10.06.2009; Aktenzeichen 4 O 59/09)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Rostock vom 10.6.2009, Az: 4 O 59/09, abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Schadenersatz i.H.v. 6.327,53 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.6.2007, sowie weitere 800,28 EUR zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen Zukunftsschäden, die dem Versicherten ...,..., aus dem Glätteunfall vom 8.2.2006 entstehen und auf die Klägerin gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergehen, zu einer Quote i.H.v. 2/3 zu ersetzen.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Der Streitwert der Berufung beträgt bis 7.500 EUR.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche ihres Versicherten ... auf Schadenersatz i.H.v. 6.327,53 EUR geltend, die gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf sie übergegangen sind. Ferner begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche materiellen Zukunftsschäden, die ihrem Versicherten aus dem Glätteunfall vom 8.2.2006 entstehen und auf die Klägerin gem. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergehen, dieser zu einer Quote zu 2/3 zu ersetzen.

Hierzu behauptet sie, der Versicherte ... sei am 8.2.2006 gegen 20.30 Uhr auf dem vereisten und sehr glatten Gehweg vor dem Grundstück ... gestürzt und habe sich hierbei eine Sprunggelenksfraktur rechts zugezogen, zu deren Behandlung sie 9.491,30 EUR habe aufwenden müssen. Da ein Mitverschulden des Versicherten nicht auszuschließen sei, würde sie lediglich 2/3 des Schadens, mithin 6.327,53 EUR geltend machen.

Die Gemeinde hat gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 ihrer Straßenreinigungssatzung vom 28.8.2001 die Schnee- und Glättebeseitigung der Gehwege auf die Eigentümer der anliegenden Grundstücke übertragen. Das Grundstück ... gehört einer Eigentümergemeinschaft; das Haus war zum Unfallzeitpunkt unbewohnt, was der Gemeinde bekannt war. Die Klägerin behauptet, die Eigentümer hätten den Gehweg nicht von Schnee befreit und auch nicht gestreut; der Weg sei sehr glatt gewesen. Sie wirft der Beklagten vor, der ihr obliegenden Kontroll- und Überwachungspflicht nicht nachgekommen zu sein.

Die Beklagte ist der Ansicht, nicht passiv legitimiert zu sein. Die Angaben der Klägerin zu Ort, Zeit, Hergang und Ursache des behaupteten Unfalls bestreitet sie mit Nichtwissen. Ferner sei die Klägerin auf die bestehende anderweitige Ersatzmöglichkeit - Inanspruchnahme der Anlieger - zu verweisen. Kontrollen seien durch das Amt ...-Land durchgeführt worden; der Ordnungsamtsleiter Herr ... fahre von Zeit zu Zeit mit dem Winterdienstfahrzeug des mit der Fahrbahnberäumung beauftragten privaten Unternehmens mit. Dabei seien in der Vergangenheit hinsichtlich des Gehweges ... keine Auffälligkeiten bemerkt worden. Weiter...

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