Leitsatz (amtlich)

1. In der von einem Prozessbevollmächtigten ohne Angabe von Gründen erklärten "Rücknahme" der Verjährungseinrede in erster Instanz liegt regelmäßig kein materieller Verzicht auf die Einrede.

2. Der Käufer eines von der Abgasthematik betroffenen Neufahrzeugs, dessen Anspruch aus § 826 BGB verjährt ist, kann seinen Anspruch auf § 852 BGB stützen. Für die Höhe des Restschadenersatzanspruchs ist wegen der Wertung der §§ 818 Abs. 4, 819 BGB auf den konkreten Betrag, den die Beklagte aufgrund des Kaufes erlangt hat, und nicht nur auf ihren Gewinn nach Kosten abzustellen.

3. Der für die Bereicherung darlegungsbelastete Kläger darf diesen Betrag mangels eigener Kenntnis schätzen.

 

Normenkette

BGB §§ 826, 852

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Aktenzeichen 13 O 1822/20)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 30.09.2020 geändert und wie folgt neu gefasst.

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.313,90 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.05.2020 auf 22.731,09 EUR und seit dem 26.02.2021 auf 22.313,90 zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (...) mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (...) nebst sämtlicher Schlüssel und Fahrzeugunterlagen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziff. 1 genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagte 92 Prozent und der Kläger 8 Prozent, von den Kosten der Berufungsinstanz tragen die Beklagte 90 und der Kläger 10 Prozent.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Erwerbs eines von der Diesel-Abgasthematik betroffenen Fahrzeugs, dessen Herstellerin die Beklagte ist.

Aufgrund verbindlicher Bestellung vom 5. Juni 2014 kaufte der Kläger von dem Autohaus DD einen (...) als Neuwagen für einen Kaufpreis von 29.300 EUR brutto. In dem Fahrzeug ist ein Motor des Typs EA 189 verbaut. Die hierin vorhandene Umschaltlogik wurde am 21.11.2016 durch ein Softwareupdate beseitigt.

Die Beklagte hat zunächst die Einrede der Verjährung erhoben und behauptet, der Kläger habe bereits im Jahr 2015, spätestens aber im Jahr 2016 Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, u.a. auch von der Betroffenheit seines Fahrzeugs von der Abgasthematik erlangt. Eine etwaige Unkenntnis sei aufgrund der - von der Beklagten in der Klagerwiderung dargelegten und insoweit unstreitig gebliebenen - Information der Öffentlichkeit über die Abgasthematik durch die Beklagte selbst und durch die Medien zumindest als grob fahrlässig zu werten. Für die Einzelheiten der öffentlich zugänglichen Informationen aus den Jahren 2015 und 2016 wird auf S. 23 bis 36 der Klagerwiderung vom 11.08.2020 verwiesen.

Der Kläger hat behauptet, er habe frühestens Ende des Jahres 2018 von der Betroffenheit seines Fahrzeugs erfahren, als die Musterfeststellungsklage Gegenstand diverser medialer Berichte gewesen sei. Nach seiner Kenntnis sei ihm kein Informationsschreiben der Beklagten zugegangen. Das Softwareupdate sei ihm im Rahmen einer Inspektion ohne seine Kenntnis aufgespielt worden.

Auf den Hinweis des Landgerichts auf einen möglichen Anspruch des Klägers aus § 852 BGB hat die Beklagte die Einrede der Verjährung zurückgenommen.

Das Landgericht hat der Klage mit dem wegen der erstinstanzlichen Anträge, des Tenors, der weiteren tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidungsgründe in Bezug genommenen Urteil vom 30.09.2020 überwiegend stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.

Die Beklagte hat in zweiter Instanz die Einrede der Verjährung erneut erhoben. Sie ist der Auffassung, der Kläger könne seinen Anspruch nicht auf § 852 BGB stützen, da dieser Anspruch durch den - hier nicht feststellbaren - wirtschaftlichen Schaden des Klägers limitiert sei. Überdies sei die Norm nach der gebotenen teleologischen Reduktion nicht anwendbar, da dem Kläger die risikolose Beteiligung an der Musterfeststellungsklage freigestanden habe. Das erlangte Etwas i.S.d. § 852 BGB entspreche allenfalls dem erlangten Nettogewinn, dessen konkrete Höhe sie für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vortragen könne, da ein "Gewinn pro Fahrzeug" von den Rechnungslegungssystemen der Beklagten nicht ermittelt werde. Der Nettogewinn sei stattdessen gem. § 287 ZPO anhand der Höhe des von der Staatsanwaltschaft Braunschweig erlassenen Bußgeldbescheids auf 93,- EUR zu schätzen. Hiervon seien anteilig die Kosten, die der Beklagten durch Entfernung d...

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