Leitsatz (amtlich)

Dem nach § 408b StPO bestellten Verteidiger stehen, auch wenn er erstmals nach Erlass des Strafbefehls tätig wird und keinen Einspruch einlegt, die vollen Gebührenansprüche eines Verteidigers und nicht nur eine Einzeltätigkeitsgebühr zu.

 

Normenkette

RVG VV Nrn. 4100, 4106; StPO § 408b S. 1; RVG VV Nr. 4302

 

Verfahrensgang

LG Aurich (Entscheidung vom 05.05.2010; Aktenzeichen 12 Qs 85/10)

AG Emden (Entscheidung vom 26.03.2010; Aktenzeichen 6 Cs 353/09)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde der Rechtsanwältin ... werden die Beschlüsse des Landgerichts Aurich vom 5. Mai 2010 und vom Amtsgericht Emden vom 26. März 2010 aufgehoben.

Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Emden vom 1. Dezember 2009 wird dahin abgeändert, dass Rechtsanwältin ... über den bereits festgesetzten Betrag von 167,20 € hinaus weitere 161,84 € aus der Staatskasse zu erstatten sind.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

Das Amtsgericht Emden erließ gegen den Angeklagten am 24. September 2009 einen Strafbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung und verhängte gegen ihn eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Am gleichen Tag bestellte das Amtsgericht Frau Rechtsanwältin ... gemäß § 408b StPO für das Strafbefehlsverfahren zur Pflichtverteidigerin des Angeklagten.

Mit der Zustellung des Strafbefehls und des Beschlusses über die Verteidigerbestellung wurden der Verteidigerin die Akten zur Einsicht übersandt. Ein Einspruch gegen den Strafbefehl wurde nicht eingelegt, so dass er am 16. Oktober 2009 rechtskräftig wurde.

Mit Antrag vom 4. November 2009 beantragte die Pflichtverteidigerin u. a. die Festsetzung einer Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und einer Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht nach Nr. 4106 VV RVG.

Abweichend hiervon setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 1. Dezember 2009 lediglich eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4302 VV RVG nebst Auslagenpauschale fest mit der Begründung, die Tätigkeit der nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidigerin sei als Einzeltätigkeit abzurechnen.

Die dagegen gerichtete Erinnerung der Pflichtverteidigerin wies das Amtsgericht mit Beschluss vom 26. März 2010 - bei gleichzeitiger Zulassung der Beschwerde - zurück Das Landgericht Aurich verwarf mit Beschluss vom 5. Mai 2010 die gegen die Entscheidung des Amtsgerichts von der Pflichtverteidigerin eingelegte Beschwerde. ließ jedoch die weitere Beschwerde gegen die landgerichtliche Entscheidung zu.

Die hierauf von der Verteidigerin eingelegte weitere Beschwerde, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, hat in der Sache Erfolg.

Das Landgericht hat die Tätigkeit der nach § 408b StPO bestellten Verteidigerin zu Unrecht als Einzeltätigkeit gewertet.

Es kann vorliegend dahin stehen, wie weit die Bestellung des Pflichtverteidigers nach § 408b StPO zeitlich reicht. vgl. zum Meinungsstand OLG Köln NStZRR 2010, 30 f. m. w. Nachw.. Anders als etwa in § 117 Abs. 4 Satz 1 StPO "für die Dauer der Untersuchungshaft", § 118a Abs. 2 Satz 3 StPO "für die mündliche Verhandlung" im Haftprüfungsverfahren, § 350 Abs. 3 Satz 1 StPO "für die Hauptverhandlung" in der Revisionsinstanz, § 418 Abs. 4 StPO "für das beschleunigte Verfahren" - nimmt § 408b StPO nicht ausdrücklich eine Beschränkung der Reichweite der Verteidigerbestellung vor.

Selbst wenn man der Meinung folgt, dass die Pflichtverteidigerbestellung nach § 408b StPO lediglich für das Strafbefehlsverfahren, nicht aber darüber hinaus für das weitere Verfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl gilt, vgl. dazu OLG Düsseldorf NStZ 2002, 390. MeyerGoßner, StPO, 52. Auflage, § 408b Rdn. 6 m. w. Nachw., so folgt daraus nicht, dass die Tätigkeit des nach § 408b StPO bestellten Pflichtverteidigers vergütungsrechtlich lediglich als Einzeltätigkeit nach Nr. 4302 VV RVG zu beurteilen wäre. Nach der Vorbemerkung 4.3 Abs. 1 VV entstehen die Gebühren Nr. 4300 bis 4304 VV RVG für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist.

Der nach § 408b StPO bestellte Pflichtverteidiger ist indessen "Vollverteidiger". Dem nach § 408b StPO bestellten Verteidiger obliegt die Verteidigung des Angeklagten, der vor der Verhängung der Freiheitsstrafe nicht persönlich durch einen Richter angehört wird und sich häufig der Gefahr des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56f StGB mit der Folge, dass er die Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, nicht bewusst ist, umfassend. Die Verteidigung beschränkt sich nicht darauf, nach § 145a Abs. 1 StPO den Strafbefehl für den Angeklagten in Empfang zu nehmen und hiergegen nach dessen Willen oder vorsorglich gegebenenfalls Einspruch einzulegen. Vielmehr gehört es zu den Aufgaben des bestellten Verteidigers, dem Angeklagten fachkundige Beratung zukommen zu lassen und dessen verfahrensmäßige Rechte im Strafbefehlsverfahren wahrzunehmen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist der Pflichtverteidiger gehalten, Einsicht in die Ermittlungsakten z...

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