Leitsatz (amtlich)

Wird die Auslieferung zur Strafvollstreckung nur wegen eines Teils der dem Urteil zu Grunde liegenden Straftaten bewilligt, gebietet der Spezialitätsgrundsatz, eine bestehende Gesamtstrafe aufzulösen und in entsprechender Anwendung des § 460 StPO unter Ausscheidung der Einzelstrafen der nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Straftatbeständen eine neue Gesamtstrafe zu bilden.

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Entscheidung vom 29.07.2003; Aktenzeichen 22 KLs 7 Js 25995/90)

 

Tenor

  • 1.

    Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 10. großen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 29.07.2003 (22 KLs 7 Js 25995/90 (X 31/91)) wird als unbegründet verworfen.

  • 2.

    Der Verurteilte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

 

Gründe

Der Beschwerdeführer war durch Urteil der 10.großen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 05.02.1992 (22 KLs 7 Js 25995/90 (X 31/91)) unter anderem zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Diese war aus 15 Einzelstrafen durch Erhöhung der Einsatzstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten (Fall IV 17. des Urteils) gebildet worden. Die Niederlande, in die sich der Beschwerdeführer zwischenzeitlich abgesetzt hatte, haben die Auslieferung im Hinblick auf eine Einzelstrafe von 6 Monaten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (Fall IV 6. des Urteils) verweigert. Die 10. große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück hat daraufhin durch Beschluss vom 29.07.2003 (22 KLs 7 Js 25995/90 (X 31/91)) die Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten aufgelöst und eine neue Gesamtstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten gebildet. Einbezogen hat sie dabei auch eine Einzelstrafe von 4 Monaten wegen gemeinschaftlichen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Fall IV 7. des Urteils). Das Verfahren war jedoch insoweit bereits durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 31.07.1992 (3 StR 255/92) nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt worden. Gegen den - nicht zugestellten - Beschluss des Landgerichts Osnabrück wendet sich der Beschwerdeführer nunmehr mit der sofortigen Beschwerde.

Diese ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht Osnabrück hat die Gesamtstrafe aus dem Urteil vom 05.02.1992 zu Recht analog § 460 StPO aufgelöst und eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten gebildet. Da die Niederlande die Auslieferung des Beschwerdeführers bezüglich der Fall IV 6. des Urteils des Landgerichts Osnabrück vom 05.02.1992 zu Grunde liegenden Tat verweigert hatten, stand der Vollstreckung der ursprünglichen Gesamtfreiheitsstrafe der Grundsatz der Spezialitätenbindung nach § 72 IRG als von Amts wegen zu beachtendes Vollstreckungshindernis entgegen. Insoweit ist nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum eine neue Gesamtstrafenentscheidung erforderlich. Der teilweise befürwortete schlichte -Abzug der nicht von der Auslieferungsbewilligung erfassten Einzelstrafe (Volckart, Verteidigung in Strafvollstreckung und im Vollzug, 3. Aufl., Heidelberg 2001 Rn. 320 ff.) würde den Verurteilten unsachgemäß begünstigen, da die Einzelstrafen ausweislich § 54 Abs. 2 StGB nie in vollem Umfang in der Gesamtstrafe aufgehen (vgl. OLG Stuttgart, NJW 1980, S. 1240 (1241)). Auf welcher Rechtsgrundlage und durch welchen Spruchkörper die gebotene Gesamtstrafenentscheidung vorzunehmen ist, wird dagegen unterschiedlich beurteilt.

Nach der Rechtsprechung und Teilen der Literatur ist die ursprüngliche Gesamtstrafe aus Gründen des Sachzusammenhangs analog §§ 460, 462a Abs. 3 S. 1 StPO durch das Gericht des ersten Rechtszuges aufzulösen. Sodann ist unter Berücksichtigung der beschränkten Auslieferungsbewilligung eine neue Gesamtstrafe zu bilden (OLG Frankfurt, NStZRR 2000, S. 189 (189); OLG Hamm, NJW 1979, S. 2484 (2485); OLG Nürnberg, NStZ 1998, S. 534 (534); OLG Stuttgart, NJW 1980, S. 1240 (1241); Grethlein, NJW 1963, S. 945 (945f); Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl. 1988, § 72 IRG Rn. 17; Mettgenberg/Doerner, DAG, 2. Aufl. 1953, § 54 S. 540; Schomburg/Lagodny, IRG, 2. Aufl. 1992, § 72 Rn. 24). Die überwiegende Auffassung in der Literatur befürchtet dagegen durch die analoge Anwendung des § 460 StPO eine Gefährdung der Rechtssicherheit. Sie befürwortet daher eine bloß fiktive Gesamtstrafenbildung entsprechend § 458 Abs. 1 StPO im Rahmen einer von der Strafvollstreckungskammer vorzunehmenden Strafzeitberechnung (Hermes/Schulze, NJW 1980, S. 2622 (2623,); Karlsruher Kommentar/Fischer, StPO, 5. Aufl., 2003, § 458 Rn. 8; Löwe/Rosenberg, StPO, 24. Aufl., 1989, § 458 Rn. 4; MeyerGoßner, StPO, 46. Aufl. 2003, § 458 Rn. 3; ähnlich OLG Karlsruhe, NStZ 1999, S. 639 (640), das eine "fiktive Bemessungsentscheidung" befürwortet).

Der Senat schließt sich der erstgenannten Ansicht an. Beeinträchtigungen der Rechtsicherheit durch Eingriff in die Rechtskraft des Urteils sind insoweit nicht zu besorgen. Da die Strafvollstreckung nach § 449 StPO und § 13 StrVollstrO auf Grundlage des rechtskräftigen Urteils betrieben...

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