Leitsatz (amtlich)

Hat an Stelle des Amtsgerichts erstmalig das Berufungsgericht gemäß § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet, so ist bei nachfolgendem Wegfall der (einbezogenen) früheren Verurteilung durch Gewährung von Wiedereinsetzung und endgültiger Einstellung jenes Verfahrens nicht das Amtsgericht, sondern das Berufungsgericht als Gericht des ersten Rechtszuges im Sinne des § 462a Abs. 3 Satz 1 und 3 StPO für die aus den verbliebenen Einzelstrafen neu zu bildende Gesamtstrafe zuständig.

 

Normenkette

StPO §§ 460, 462 Abs. 1, § 462a Abs. 3; StGB § 55

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 20.05.2008; Aktenzeichen 27 Cs 350 Js 13127/08)

 

Tenor

Im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung wird das Berufungsurteil der Kammer vom 09.02.2009 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass die Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Freiburg vom 20.05.2008 - 27 Cs 350 Js 13127/08 - entfällt und der Angeklagte zu einer Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 10,-- Euro verurteilt wird.

 

Gründe

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Kenzingen vom 17.04.2008 wurde der Angeklagte wegen Diebstahls sowie Erpressung in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen wurde er freigesprochen. Gegen dieses Urteil legte er form- und fristgerecht Berufung ein, die er in der Berufungshauptverhandlung am 09.02.2009 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte. Sein Rechtsmittel, mit dem er die Verhängung einer Geldstrafe erstrebte, hatte Erfolg. Die Kammer hielt für die in erster Instanz festgestellten Taten des Angeklagten folgende Einzelstrafen für angemessen:

1. Tat vom 24.02.2007:

30 Tagessätze zu je 10,-- Euro

2. Tat vom 09.07.2007:

90 Tagessätze zu je 10,-- Euro

3. Tat vom 09.07.2007

60 Tagessätze zu je 10,-- Euro.

Da diese 3 Taten vor der früheren rechtskräftigen Verurteilung des Amtsgerichts Freiburg durch Strafbefehl vom 20.05.2008 - 27 Cs 350 Js 13127/08 - begangen wurden, entfaltete jener Strafbefehl eine Zäsurwirkung. Die Kammer hatte demzufolge in ihrem Berufungsurteil vom 09.02.2009 gemäß § 55 StGB unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 20.05.2008 eine nachträgliche Gesamtgeldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 10,-- Euro gebildet.

Am 22.01.2010 gab das Amtsgericht Freiburg bezüglich des Strafbefehls vom 20.05.2008 einem Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt. Auf den gleichzeitig eingelegten Einspruch gegen den Strafbefehl wurde jenes Verfahren gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Damit war der Strafbefehl vom 20.05.2008 rückwirkend gegenstandslos geworden, wodurch nicht nur dessen Zäsurwirkung nachträglich entfiel, sondern es nunmehr auch an einer einbeziehungsfähigen Strafe fehlte. Die von der Kammer im Berufungsurteil vom 09.02.2009 vorgenommene Gesamtstrafenbildung war daher nachträglich zu korrigieren.

II.

Diese Korrektur der Gesamtstrafenbildung ist im Beschlusswege gemäß §§ 460, 462 StPO analog vorzunehmen. § 460 StPO regelt die Fälle, in denen die nach § 55 StGB grundsätzlich zwingend gebotene Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren unterblieben ist. Nicht gesetzlich geregelt ist dagegen die vorliegende Konstellation, dass eine nachträgliche Gesamtstrafe zunächst vorschriftsmäßig gebildet wurde und die einbezogene Strafe wegen einer später erfolgten Einstellung des Verfahrens nach gewährter Wiedereinsetzung wegfällt. Insofern besteht eine planwidrige Regelungslücke. Die Interessenlage ist in der hier gegebenen Situation auch vergleichbar mit dem in § 460 StPO geregelten Fall. Der Zweck des § 460 StPO besteht darin, den Angeklagten vor möglichen Nachteilen zu bewahren, wenn die erforderliche Gesamtstrafenbildung zum Zeitpunkt der Urteilsfindung noch nicht vorgenommen werden konnte, etwa weil dem Richter die Kenntnis fehlte, dass eine frühere Verurteilung mit einbeziehungsfähiger Strafe vorliegt.

Auch im vorliegenden Fall ist eine Situation gegeben, in der dem Gericht bei Verkündung des Urteils eine entscheidende Information fehlte - es war zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar, dass die einbezogene Strafe später wegen einer Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO wegfallen würde. Könnte das Gericht nach dieser entscheidenden Änderung der Sachlage die Gesamtstrafe nicht mehr nachträglich auflösen, würde eine für den Angeklagten nicht hinnehmbare Situation entstehen, indem nämlich eine Gesamtstrafe gegen ihn vollstreckt würde, die in ihrer konkreten Höhe nicht mehr gerechtfertigt ist, weil eine der einbezogenen Einzelstrafen nachträglich entfallen ist. Dieser Nachteil muss ebenso wie in der durch § 460 StPO geregelten Konstellation im Rahmen einer nachträglichen Änderung der Gesamtstrafe im Beschlusswege ausgeräumt werden können. Aus diesem Grund ist eine analoge Anwendung der §§ 460, 462 StPO vorliegend geboten (ebenso das Brandenburgische Oberlandesgericht in einer ähnlichen Konstellation, vgl. Beschluss vom 03.12.2009, 1 Ss 97/09).

III.

Die Kammer ist hierfür auch zustän...

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