Leitsatz (amtlich)

1. Zur Haftungsverteilung zwischen dem Halter eines nachts unbeleuchtet auf einer Gemeindeverbindungsstraße abgestellten landwirtschaftlichen Anhängers und dem Fahrer eines Motorrollers, der gegen das Sichtfahrgebot verstößt.

2. Verzögert der Schädiger bzw. seine Haftpflichtversicherung die Schadensregulierung entgegen Treu und Glauben, so ist dem Geschädigten als Genugtuung ein deutlich erhöhtes Schmerzensgeld zuzusprechen (Fortführung von OLG Nürnberg v. 25.4.1997 - 6 U 4215/96, OLGReport Nürnberg 1997, 272 = VersR 1998, 731).

 

Normenkette

BGB § 253 Abs. 2; StVG § 17; StVO § 3 Abs. 1 S. 4, § 12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, § 14 Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Urteil vom 25.07.2006; Aktenzeichen 1 O 207/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des LG Regensburg vom 25.7.2006 abgeändert.

1. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 34.551,89 EUR nebst Zinsen hieraus in, Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.10.2005, sowie weitere 419,80 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 31.1.2006 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger 70 % jedes weiteren materiellen Schadens sowie jeden weiteren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung eines 30 %-igen Mithaftungsanteils des Klägers aus dem Unfall vom 25.10.2005 zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten und die Berufung des Klägers werden zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des zweiten Rechtszugs tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 44 % und der Kläger 56n, von denen des ersten Rechtszugs tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 40 % und der Kläger 60 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beide Parteien können die Vollstreckung durch die jeweilige Gegenpartei durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren. Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 110.715,81 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um die Haftung für einen Verkehrsunfall, der sich am 25.10.2004 kurz nach 21.00 Uhr auf der Gemeindeverbindungsstraße von R. nach C. ereignete.

Der Kläger befuhr die nur 3 m breite Straße mit der bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit seines Motorrollers von 50 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht. Er prallte ungebremst gegen Deichsel und Bordwand des 1,52 m breiten, auf der vom Kläger aus gesehen rechten Fahrbahnseite unbeleuchtet abgestellten landwirtschaftlichen Anhängers des Beklagten zu 1). Bei einer Geschwindigkeit von bis zu 25-30 km/h hätte der Kläger den landwirtschaftlichen Anhänger rechtzeitig gesehen und ihm ausweichen können; bei der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit war der Unfall für ihn unvermeidbar.

Der Kläger erlitt bei dem Unfall folgende Verletzungen: Leberruptur, Pankreasruptur, Claviculafraktur rechts, Schädel-Hirntrauma mit Blutauflagerung auf Tentcrium und Contre-Coup-Blutung links parietal, Orbitahämatom rechts mit Risswunde über rechtem Augenlid, Herzkontusion, Äbriss eines Sehnenfadens der sog. dreizipfligen Herzklappe (Trikuspidalklappe). Er war infolge des Unfalls vom 25.10. bis 13.11.2004, vom 18. bis 19.7.2005 und vom 22.8. bis 2.9.2005 in stationärer Behandlung. Der letztgenannte Klinikaufenthalt diente der Rekonstruktion der Trikuspidalklappe. Als Dauerschaden verblieben ihm die erhöhte Gefahr, an einer Endokarditis zu erkranken, Verwachsungen im Bauchraum und eine sich über den gesamten Oberkörper hinziehende Narbe. Er kann sich daher nicht im gleichen Maße wie vor dem Unfall sportlich betätigen und muss auch bei kleineren invasiven Eingriffen, etwa beim Zahnarzt, vorbeugend Antibiotika nehmen.

Die Beklagte zu 2) zahlte vorgerichtlich auf den materiellen Schaden von 3.879,72 EUR unter Zugrundelegung einer auf sie entfallenden Haftungsquote von 30 % 1.163,91 EUR und auf den Schmerzensgeldanspruch 2.000 EUR.

Das LG hat die Beklagten durch Endurteil vom 25.7.2006, auf das wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, dazu verurteilt, den materiellen und immateriellen Schaden des Klägers unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 80 % zu ersetzen und ein Schmerzensgeld von weiteren 33.000 EUR zu bezahlen. Gegen dieses beiden Parteien am 28.7.2006 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 14.8.2006 und der Kläger am 28.8.2006 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel am 21.8. bzw. 28.8.2006 begründet.

Der Kläger meint, das Sichtfahrgebot habe für ihn in der Unfallnacht nicht gegolten, weil er mit einem Hindernis wie dem landwirtschaftlichen Anhänger des Beklagten zu 1) nicht habe rechnen müssen. Da er nur mit der halben an der Unfallstelle an sich zulässigen Höchstgeschwindi...

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