Leitsatz (amtlich)

1. Eine "isolierte" Anfechtungsklage gegen einen Hauptversammlungsbeschluss einer Aktiengesellschaft, die sich lediglich gegen die Ermächtigung des Vorstandes richtet, im Rahmen der Ausnutzung genehmigten Kapitals (§ 202 Abs. 1 AktG) über den Ausschluss des Bezugsrechts von Aktionären zu entscheiden (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG) ist zulässig. Die gleichzeitige Anfechtung auch der Ermächtigung des Vorstandes zur Kapitalerhöhung ist nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB nicht geboten.

2. Die Berichtspflicht des Vorstandes anlässlich des von der Hauptversammlung zu treffenden Ermächtigungsbeschlusses gemäß § 203 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 186 Abs. 4 Satz 2 AktG erfordert nicht, dass sämtliche denkbaren Gründe für einen Ausschluss des Bezugsrechts abschließend benannt werden.

3. Ein Hauptversammlungsbeschluss betreffend die Ermächtigung des Vorstandes, im Rahmen der Ausnutzung genehmigten Kapitals über den Ausschluss des Bezugsrechts von Aktionären zu entscheiden, bedarf lediglich insoweit der sachlichen Rechtfertigung, als diese Ermächtigung im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegen und der Hauptversammlung allgemein und in abstrakter Form bekannt gegeben werden muss (im Anschluss an BGH, Urteil vom 23.06.1997 - II ZR 132/93, BGHZ 136, 133 - Siemens/Nold). Eine konkrete Rechtfertigung des Bezugsrechtsausschlusses ist vom Vorstand erst im Zeitpunkt seiner Entscheidung über einen solchen Ausschluss aufgrund der ihm erteilten Ermächtigung zu prüfen.

4. Die Regelung des erleichterten Bezugsrechtsausschlusses gemäß § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG steht einem Hauptversammlungsbeschluss über die Ermächtigung, im Rahmen der Ausnutzung genehmigten Kapitals (§ 202 Abs. 1 AktG) über den Ausschluss des Bezugsrechts von Aktionären zu entscheiden (§ 203 Abs. 2 Satz 1 AktG), selbst dann nicht entgegen, wenn dieser Beschluss einen Bezugsrechtsausschluss in weitergehendem Umfang, als in § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG geregelt, ermöglicht.

 

Normenkette

AktG §§ 186, 202-203, 243; BGB § 139

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 26.04.2018; Aktenzeichen 5 HK O 4728/17)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 23.05.2023; Aktenzeichen II ZR 141/21)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.04.2018 (Az. 5 HK O 4728/17) wird mit der Maßgabe nachstehender Kostenentscheidung zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten in beiden Instanzen tragen die Klägerin und die Nebenintervenientin jeweils zur Hälfte.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.04.2018 (Az. 5 HK O 4728/17) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 100.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Klägerin, Aktionärin der verklagten Gesellschaft, begehrt mittels Anfechtungsklage die Nichtigerklärung eines in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 28.06.2017 gefassten Beschlusses zu Tagesordnungspunkt 6 [Schaffung eines neuen genehmigten Kapitals gegen Bar- und/oder Sacheinlagen mit der Möglichkeit zum Ausschluss des Bezugsrechts (Genehmigtes Kapital 2017) und entsprechende Anpassung von § 5 Abs. 2 der Satzung]. Die verklagte Aktiengesellschaft begehrt Klageabweisung.

1. Die Beklagte ist eine im Handelsregister des ... unter ... eingetragene Aktiengesellschaft, deren Aktien im Freiverkehr an der B. Wertpapierbörse notiert sind. Geschäftsgegenstand ist die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von Puppen, Spielwaren, Baby- und/oder Kinderbekleidung und Freizeitartikeln aller Art sowie die Vermarktung dieser Produkte durch Lizenzvergabe.

Ein Großaktionär der Beklagten ist der "(I.)"; dieser gehört zur von I. gegründeten und als CEO geführten M.-Firmengruppe, an deren Spitze der US-amerikanische Spielzeughersteller M. steht.

Das Grundkapital der Beklagten beträgt nach mehreren vorausgegangenen Kapitalerhöhungen sowie einer Kapitalherabsetzung 6.431.951,00 EUR und ist in ebenso viele auf den Inhaber lautende Stückaktien ohne Nennbetrag eingeteilt (§ 5 Abs. 1 der Satzung). Der Vorstand war ermächtigt, das Grundkapital der Gesellschaft mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis zum 19.06.2017 einmalig oder mehrmalig um bis zu insgesamt 9.647.926,00 EUR gegen Bar- und/oder Sacheinlagen durch Ausgabe neuer, auf den Inhaber lautender nennwertloser Stückaktien zu erhöhen (Genehmigtes Kapital 2012). Der Vorstand war weiter ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre in im Einzelnen dargelegten Fällen auszuschließen. Von dieser Ermächtigung war seitens des V...

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