Leitsatz (amtlich)

1. Eine sofortige Umsetzung des Urteils des EGMR vom 17.12.2009 (EGMR, NStZ 2010, 263) in der Weise, dass selbst hochgefährliche Sicherungsverwahrte aus der Unterbringung entlassen werden müssten, ist weder mit dem staatlichen Schutzauftrag für die Grundrechte Dritter noch mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar.

2. Die Regelungen der Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 EMRK nach Maßgabe der Entscheidung des EGMR sind durch Auslegung nicht in Einklang, mit der derzeit gültigen deutschen Rechtslage wie sie vom Bundesverfassungsgericht interpretiert wird, zu bringen. Die gebotene Berücksichtigung der Entscheidungen des EGMR findet ihre Grenze dort, wo in gleichrangiger Anwendung der EMRK und der Grundrechte des Grundgesetzes ein unauflösbarer Zielkonflikt zwischen verschiedenen Grundrechtsträgern entsteht.

3. Es verbleibt bei der Anwendbarkeit der vom Gesetzgeber in § 67 d StGB angeordneten Anwendung der Neuregelung auch auf sogenannte Altfälle.

 

Normenkette

StGB § 67d Abs. 3; EMRK Art. 5 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 05.08.2010; Aktenzeichen 2 BvR 1646/10)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten L. gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts R. mit dem Sitz in S. vom 14. Mai 2010 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I. Der am 24.3.1958 in geborene Verurteilte stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war seit 1968 Frührentner und verstarb im Jahre 1977. Bis zu seinem 10. Lebensjahr lebte er in der Familie mit weiteren vier Geschwistern. Die Mutter verstarb bereits 1974. Nach altersgerechter Einschulung musste er zwei Jahre später in die Sonderschule umgeschult werden. Wegen Erziehungsschwierigkeiten kam er in ein Fürsorgeheim in der Nähe von K. Von dort entwich er mehrfach, um zu Hause wohnen zu können.

Bereits als 14jähriger fiel er durch aggressives Verhalten auf. In den Jahren 1972 bis 1974 trat er durch die Begehung von mindestens fünf Sexualdelikten in Erscheinung. Er belästigte mehrere Frauen unsittlich. Ein Gutachter kam zum Ergebnis, er sei keinesfalls altersgemäß entwickelt, es sei jedoch heilpädagogische Betreuung zu empfehlen. Teilweise wurden Ermittlungsverfahren demzufolge eingestellt. Im Jahre 1974 jedoch erfolgte die erste Verurteilung, wegen sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Nach teilweiser Verbüßung wurde Haftunterbrechung angeordnet und der damals 17jährige ins psychiatrische Landeskrankenhaus W. eingewiesen, von wo aus er nach Ablauf der regulären Haftzeit am 3.12.1975 entwich.

Im April 1977 zog er nach erheblichen Auseinandersetzungen aus dem Elternhaus aus; war anschließend arbeits- und wohnsitzlos. In den Jahren 1977 bis 1979 beging er drei Diebstahls- bzw. Raubdelikte wegen derer er zu zwei Jahren und neun Monaten Jugendstrafe und zu zwei Jahren Freiheitsstrafe nach Erwachsenenrecht verurteilt wurde. Teilweise wurden die Straftaten während des Hafturlaubs begangen. Im letzten Falle hatte der Verurteilte eine Frau bis zur Besinnungslosigkeit gewürgt. Die Strafe wurde nach vorübergehender Strafaussetzung zur Bewährung vollständig vollstreckt bis 15.11.1982. Bereits wenige Monate nach seiner Entlassung beging der Verurteilte eine Serie von Kfz-Diebstählen, wegen derer er zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt wurde. Im Jahre 1984 wurde er des Weiteren wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten und wegen mehrerer Einbruchsdiebstählen in Gartenhäuser zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Nach der vorliegendem Verfahren zugrunde liegenden Verurteilung erfolgte eine weitere im Januar 1987 zu zwei Jahren wegen versuchter Geiselnahme und gefährlicher Körperverletzung, weil der Verurteilte am 28.7.1986 in der Justizvollzugsanstalt K. versucht hatte, sich durch Bemächtigens der Anstaltspsychologin ein Fluchtfahrzeug, Bargeld und eine Fluchtgelegenheit zu verschaffen.

Dem vorstehenden Verfahren liegt die Verurteilung durch das Landgericht M. vom 10.7.1986 zugrunde. Der Verurteilte wurde hierdurch wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Falle in Tateinheit mit sexueller Nötigung und in einem anderen Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von einem Kinde, der versuchten Vergewaltigung und des schweren Raubes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt, wobei eine Strafe von acht Monaten wegen Diebstahls einbezogen worden war. Darüber hinaus ordnete die Kammer im Urteil die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:

- In der Nacht vom 7. auf den 8.8.1985 begegnete der Verurteilte nach einem Gaststättenbesuch einer ihm unbekannten, 19jährigen Frau, die er verfolgte. Er holte sie ein, fasste sie von hinten, hielt ihr den Mund zu, versetzte ihr mit der Faust Schläge auf den Kopf und drohte, sie zu erschießen. Auf einem nahegelegenen Schulgelände zwang er sie, sich auszuziehen und den Beischlaf bis zum...

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