Leitsatz (amtlich)

1. Die konventionsrechtliche Problematik des rückwirkenden Wegfalls der zehnjährigen Höchstfrist für die Sicherungsverwahrung (EGMR Urteil vom 17. Dezember 2009, 19359/04) erfasst auch diejenigen "Altfälle", bei denen die Sicherungsverwahrung aufgrund einer Überweisungsentscheidung gemäß § 67a Abs. 2 Satz 1 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen wird.

2. Zur unmittelbaren "Umsetzbarkeit" der Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009 (19359/04) beim gegenwärtigen Stand der Gesetzgebung.

3. Nach zehnjährigem Vollzug der Sicherungsverwahrung ist zwecks Vorbereitung der Entscheidung gemäß § 67d Abs. 3 StGB und jeder daran anschließenden Nachfolgeentscheidung gemäß § 67d Abs. 2 StGB die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage erforderlich, ob von dem Untergebrachten nach wie vor die hangbedingte Gefahr einer Begehung erheblicher Straftaten ausgeht, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.‹

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Beschluss vom 17.08.2010; Aktenzeichen 052 StVK 40/10)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der

2. großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Düsseldorf vom

17. August 2010 (052 StVK 40/10) aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.

 

Gründe

A.

Durch Urteil vom 24. Januar 1995 verhängte das Landgericht Düsseldorf gegen den einschlägig vorbestraften Verurteilten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen - unter Einbeziehung der sechsmonatigen Freiheitsstrafe aus einer Vorverurteilung durch das Amtsgericht Hannover vom 25. November 1993 - eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und ordnete ferner - erstmals - seine Sicherungsverwahrung an. Nach vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde der Verurteilte am 11. April 1998 in den Vollzug der Sicherungsverwahrung überführt. Er befand sich zunächst in den Justizvollzugsanstalten Rheinberg und Aachen. Seit dem 13. November 2003 wird die Maßregel aufgrund einer Überweisungsanordnung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 12. Dezember 2001 (§ 67a Abs. 2 StGB) in der LVR-Klinik Langenfeld vollstreckt.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer im Prüfungsverfahren nach §§ 67e, 67d Abs. 2 und 3 StGB die Fortdauer "der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus" angeordnet. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde. Er beantragt vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR Urteil vom 17. Dezember 2009 [19359/04] ≪juris≫ = NJW 2010, 2495), die mittlerweile seit mehr als zwölf Jahren vollzogene Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 3 StGB in der bis zum 30. Januar 1998 geltenden Fassung für erledigt zu erklären.

B.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der aus dem Tenor ersichtlichen Weise Erfolg. Eine Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug wegen Ablaufs der nach Tatzeitrecht für die erstmalige Sicherungsverwahrung geltenden Höchstfrist von zehn Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StGB in der bis zum 30. Januar 1998 geltenden Fassung) kommt nicht in Betracht (I). Die zutreffend am Prüfungsmaßstab des aktuell geltenden § 67d StGB (in seiner durch Sexualdeliktebekämpfungsgesetz vom 26. Januar 1998 [BGBl. I 160] mit Wirkung zum 31. Januar 1998 geänderten Fassung) getroffene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist indes verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (II).

I.

Da für Maßregeln der Besserung und Sicherung gemäß § 2 Abs. 6 StGB grundsätzlich kein Rückwirkungsschutz besteht, ist die hier anstehende Frage der Maßregelerledigung nach zehnjähriger Dauer gemäß § 67d Abs. 3 StGB n.F. von einer qualifizierten Gefahrenprognose abhängig zu machen, obwohl im Falle des Verurteilten zur Zeit der Begehung und Aburteilung seiner Taten für die Sicherungsverwahrung noch die absolute Höchstfristenregelung des § 67d StGB a.F. (mit der Folge einer unbedingten Entlassung nach Ablauf von zehn Jahren) anwendbar war. Dies gilt auch im Lichte der zu einem solchen "Altfall" ergangenen Entscheidung des EGMR vom 17. Dezember 2009. Die dieses Urteil tragenden Erwägungen (1) erfassen zwar grundsätzlich auch die hier vorliegende Sachverhaltsgestaltung eines "Altfall-Vollzugs" der Sicherungsverwahrung im psychiatrischen Krankenhaus (2). Sie lassen sich aber bei der gegenwärtigen Rechtslage ohne einen Eingriff des Gesetzgebers gerichtlicherseits nicht umsetzen (3).

1. In seiner vorerwähnten Entscheidung hat der EGMR die Fortdauer der in einer Justizvollzugsanstalt über zehn Jahre hinaus vollzogenen Sicherungsverwahrung in einem "Altfall" als Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 2 sowie Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK bezeichnet und hierzu Folgendes ausgeführt:

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