Leitsatz (amtlich)

Zur Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines auswärtigen Rechtsanwalts in bundesweit geführten Massenverfahren (hier: Insolvenzanfechtungen von Ausschüttungen an Anleger eines Schneeballsystems).

 

Normenkette

ZPO § 91

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 18 O 3274/18)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26.05.2020 - 18 O 3274/18 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Der Beschwerdewert wird auf 222 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer Gesellschaft aus der ...-Gruppe. Die Hauptverantwortlichen der Gruppe wurden durch Urteil des Landgerichts Dresden vom 09.07.2018 (5 KLs 100 Js 7387/12) unter anderem wegen Betrugs zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Beklagte hatte Genussrechte der späteren Insolvenzschuldnerin gezeichnet und auf dieser Grundlage Auszahlungen von ihr erhalten. Der Kläger hat diese Auszahlungen angefochten.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat nach Abschluss des Anfechtungsprozesses - die Parteien haben sich in der Berufungsinstanz verglichen - am 26.05.2020 einen Kostenfestsetzungsbeschluss erlassen. Dort hat es die Reisekosten der Beklagtenvertreterin gemäß ihrem Antrag vom 30.03.2020 auf 296,20 EUR festgesetzt. Der Beschluss wurde der Klägervertreterin am 29.05.2020 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 10.06.2020, beim Landgericht eingegangen am selben Tag, legte die Klägervertreterin sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ein. Darin wandte sie sich gegen die Festsetzung der Reisekosten der (auswärtigen) Beklagtenvertreterin. Statt der festgesetzten 296,20 EUR könne diese lediglich fiktive Reisekosten i. H. v. 74,20 EUR verlangen.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Die statthafte (§ 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässig eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Zur Begründung macht sich das Beschwerdegericht die ausführlichen und zutreffenden Erwägungen des Landgerichts im Kostenfestsetzungsbeschluss (dort S. 5-7) zu eigen und verweist auf sie.

2. Ergänzend ist zu bemerken: Die unterlegene Partei hat die dem Gegner erwachsenen Kosten - einschließlich der Reisekosten eines Rechtsanwalts - gem. § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO zu erstatten, soweit diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Notwendigkeit bemisst sich danach, was eine vernünftige und kostenorientierte Partei als sachdienlich ansehen durfte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der weder am Gerichtsort noch am Sitz der vertretenen Partei ansässig ist, nur bis zur Höhe der fiktiv durch die Einschaltung eines an den genannten Orten ansässigen Bevollmächtigten als notwendig und damit erstattungsfähig anzusehen sind. Allerdings können in bestimmten Ausnahmekonstellationen auch die Mehrkosten eines an einem dritten Ort ansässigen Bevollmächtigten notwendig und damit erstattungsfähig sein (OLG Frankfurt, Beschluss vom 19.01.2018 - 6 W 113/17, juris Rn. 4 f. m. w. N.).

Der Bundesgerichtshof hat eine solche Ausnahme etwa bejaht, wenn sich diese aus der Komplexität der jeweiligen Rechtsstreitigkeit ergibt oder weil mehrere gleich gelagerte Rechtsstreitigkeiten bei verschiedenen Gerichten zu führen sind und die Partei aus diesem Grund die Wahrnehmung ihrer Belange durch einen Rechtsanwalt als sachdienlich ansehen kann (BGH, Beschluss vom 27.02.2018 - II ZB 23/16, juris Rn. 11). So soll es bei der gebotenen typisierenden Betrachtung einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entsprechen, die Geltendmachung rechtlich gleichgelagerter Ansprüche auf Rückzahlung von Ausschüttungen in einer Publikumskommanditgesellschaft vor verschieden Gerichten in die Hände eines Rechtsanwalts zu geben, damit dieser einen Gesamtüberblick über die Verfahren gewinnen und gegebenenfalls auf Entwicklungen in Parallelverfahren reagieren kann (BGH, Beschluss vom 27.02.2018 - II ZB 23/16, juris Rn. 13, für den Fall, dass ein Insolvenzverwalter Ansprüche gemäß § 171 Abs. 2 HGB gegen mehrere Kommanditisten verfolgt).

Die darin liegende Wertung lässt sich auf die vorliegende Konstellation übertragen, in der vergleichsweise geringe Ausschüttungen aus einem groß angelegten Betrugssystem vom Insolvenzverwalter angefochten und die Anfechtungsklagen - allein durch die Klägervertreterkanzlei in mehreren hundert Prozessen - bundesweit verhandelt werden.

Die Prozesse entsprechen, nimmt man das hiesige Verfahren und die darin vorgelegte Papiermenge als Maß, der für solche Massenprozesse typischen Textbaustein- und Materialschlacht. Wenn es daher zweckentsprechender Rechtsverfolgung dient - was die Beklagtenvertreterin zwar in Abrede stellt, woran der Senat aber keinen Zweifel hat -, dass die Klägervertreterin ihre tatsächlichen Reisekosten abrechnen kan...

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