Leitsatz (amtlich)

1. Der Rechtsmittelverzicht eines Sprachunkundigen ist wegen Verstoßes gegen ein faires Verfahren unwirksam, wenn nicht ersichtlich ist, dass er die ihn belastenden Teile einer gerichtlichen Entscheidung (hier Weisungen nach § 56c StGB) verstanden hat. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er eine vorgefertigte, inhaltlich teilweise unrichtige Belehrung über Bewährungsauflagen unterzeichnete, ein Mitgefangener als Übersetzer fungierte, ohne dass ersichtlich ist, ob dieser richtig und wortgetreu die vollständige Entscheidung oder nur die unzureichende Belehrung übersetzt hat, und der Verurteilte keine Gelegenheit hatte, sich vorher mit seinem Verteidiger zu beraten.

2. Eine mit der Reststrafenaussetzung verbundene Weisung ist unzulässig, wenn ihr jegliche Beziehung zum Resozialisierungsziel fehlt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn dem Verurteilten auferlegt wird, unverzüglich nach seiner Entlassung auszureisen und die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und jedwede Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, entsprechend dem Ausweisungsbescheid der Ausländerbehörde, zu unterlassen.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 3; StGB § 56c; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LG Regensburg (Entscheidung vom 22.11.2013; Aktenzeichen StVK 311/2008)

GStA Nürnberg (Aktenzeichen 9 Ws 776/13)

StA Traunstein (Aktenzeichen 120 Js 37126/06)

 

Tenor

  • I.

    Auf die Beschwerde des Verurteilten I... D... wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 22.11.2013 hinsichtlich der unter Nummern 3 a und c des Entscheidungssatzes enthaltenen Weisungen aufgehoben.

  • II.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Traunstein vom 01.08.2008 (Az.: 2 KLs 120 Js 37126/06) wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Er verbüßte diese Strafe in der Justizvollzugsanstalt S... . Zwei Drittel der Strafe waren seit dem 25.07.2012 verbüßt, Strafende war zum 26.05.2016 vorgemerkt. In der Zeit vom 26.07.2012 bis 25.09.2013 hat der Verurteilte eine durch Urteil des Landgerichts Traunstein vom 09.07.2009 (Az.: 6 KLs 201 Js 10942/08) wegen gemeinschaftlichen Raubes verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten vollständig verbüßt.

Der Verurteilte ist albanischer und kanadischer Staatsangehöriger. Er besitzt nur geringe Kenntnisse der deutschen Sprache.

Durch seit 03.01.2009 bestandskräftigen Bescheid der Landeshauptstadt München - Kreisverwaltungsreferat - vom 27.11.2008 (Az.: KVR-II/313 BS; Bl. 203 ff. d.A.) wurde der Verurteilte aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, ihm die Wiedereinreise untersagt, und angeordnet, dass er nach erfülltem Strafanspruch des Staates nach Kanada abgeschoben wird.

Mit Verfügung vom 16.07.2013 ordnete die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing (künftig: Strafvollstreckungskammer) dem Verurteilten analog § 140 Abs. 2 StPO Frau Rechtsanwältin Dr. G... als Pflichtverteidigerin für das laufende Prüfungsverfahren gemäß § 57 Abs. 1 StGB bei.

Nach Einholung einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt S... vom 25.06.2013, die der Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegen trat, sowie eines Gutachtens der Sachverständigen Dr. (IM T...) M... P... vom 28.10.2013 setzte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 22.11.2013 die weitere Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Traunstein vom 01.08.2008 mit Wirkung ab dem 20.12.2013 zur Bewährung aus, setzte die Bewährungszeit auf fünf Jahre fest, und erteilte folgende Weisungen:

"3. Der Verurteilte wird angewiesen:

a) Unverzüglich nach seiner Entlassung auszureisen und das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen;

b) Unverzüglich nach seiner Entlassung außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland einen festen Wohnsitz zu begründen und diesen sowie jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich und unaufgefordert dem Gericht schriftlich mitzuteilen;

c) Jedwede Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, entsprechend dem Ausweisungsbescheid des Kreisverwaltungsreferats München vom 27.11.2008, zu unterlassen;

d) Dem Gericht jede Befristung des Ausweisungsbescheids des Kreisverwaltungsreferats München vom 27.11.2008 und jede daraufhin geplante Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig vorher schriftlich und unter Nennung des Aufenthaltsgrundes sowie des voraussichtlichen Aufenthaltsortes mitzuteilen."

Am 27.11.2011 wurde der Beschluss dem Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt S... eröffnet. Hierbei unterzeichnete er ein (offenbar) vorgefertigtes Protokoll, in dem er folgendes erklärte:

"Ich habe davon Kenntnis erhalten...

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