Leitsatz (amtlich)

1. Es verstößt gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (Art. 103 Abs. 1 GG), wenn die Sach- und Rechtslage erörtert, den Klägern für den gestellten Antrag Prozeßkostenhilfe bewilligt wird und danach deren Klage wegen mangelnden Rechtsschutzbedürfnisses oder rechtsmißbräuchlichen Verhaltens abgewiesen wird.

2. Das Gebot der fairen Verfahrensgestaltung erfordert es, daß auf solche Gesichtspunkte ausdrücklich hingewiesen wird, damit die Partei ihr prozessuales Verhalten hierauf einrichten kann.

3. Ein Urteil leidet an einem schweren Verfahrensmangel, wenn aus den Gründen nicht zu entnehmen ist, worauf letztlich die Klageabweisung gestützt wird.

4. Wird in einem Scheidungsverbund der nacheheliche Unterhalt nicht als Verbundantrag geltend gemacht führt dies für nicht zum Ausschluß des materiellen nachehelichen Unterhaltsanspruches.

 

Verfahrensgang

AG Aschersleben (Urteil vom 28.02.1996; Aktenzeichen 4 F 150/95)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerinnen wird das am 28. Februar 1996 verkündete Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Aschersleben aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten der Berufung, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Die gerichtlichen Kosten der Berufung sowie die erneut in erster Instanz aufgrund der Zurückverweisung doppelt anfallenden gerichtlichen Kosten werden nicht erhoben.

 

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung hat insoweit Erfolg als die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen war, weil das Verfahren und das Urteil an wesentlichen Mangeln leiden und eine Entscheidung durch den Senat nicht sachdienlich erscheint (§§ 539, 540 ZPO).

Zunächst handelt es sich bei dem Urteil um eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG und das verfassungsrechtliche Willkürverbot verstoßende Überraschungsentscheidung. Ausweislich des Protokolls vom 07.02.1996 wurde die Sach- und Rechtslage im Hinblick auf das Einkommen und die Leistungsfähigkeit des Beklagten erörtert, ferner präzisierten die Klägerinnen ihren schriftsätzlich angekündigten Antrag. Darauf, daß die Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses oder rechtsmißbräuchlichen Verhaltens erfolglos sein könnte, ist nicht hingewiesen worden. Darüber hinaus war den Klägerinnen zuvor Prozeßkostenhilfe gewährt worden, was gemäß § 114 ZPO die Bejahung hinreichender Erfolgsaussicht voraussetzt. Mithin konnten die Klägerinnen mit einer solchen Entscheidung nicht rechnen und ihren Vortrag entsprechend ergänzen, um ggfls. die Bedenken des Gerichts auszuräumen. Diese Verfahrensweise verstößt gegen das Gebot der fairen Verfahrensgestaltung und beinhaltet deshalb einen schweren Verfahrensmangel, der schon für sich genommen die Zurückverweisung rechtfertigt (vgl. Zöller/Gummer, ZPO, 19. Aufl., § 539 Rn. 12 m.w.N.).

Darüber hinaus leidet auch das Urteil an inhaltlichen Mängeln, weil aus den Gründen nicht ersichtlich wird, worauf das Amtsgericht die Klagabweisung letztlich gestützt hat, insbesondere, ob es in der Sache einen Zulässigkeitsmangel oder die Unbegründetheit der Klage annehmen wollte. Die Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten rechtfertigen ebenfalls die Zurückverweisung (vgl. Zöller/Gummer, a.a.O., Rn. 21).

In den Entscheidungsgründen heißt es einerseits, derartigen Ansprüchen fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Richtig ist zwar, daß jeder Klage als Zulässigkeitsvoraussetzung ein Rechtsschutzbedürfnis zugrunde liegen muß. Dabei berührt fehlendes Rechtsschutzbedürfnis allerdings nicht den materiellen Anspruch, sondern lediglich die Möglichkeit, einen bestehenden Anspruch mit gerichtlicher Hilfe durchzusetzen. Ob das Amtsgericht dies annehmen wollte, ist nicht recht erkennbar, weil es die Klage als unbegründet abgewiesen hat, also wohl den materiellen Anspruch verneinen wollte. Darauf deutet auch der Satz hin, die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs nach rechtskräftigem Abschluß des Scheidungsverfahrens sei rechtsmißbräuchlich. Dies wäre eine materiell-rechtliche Einwendung, die sich aus § 242 BGB herleitet und sich im vorliegenden Fall nur aus der Fallgruppe des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens oder aus dem Gesichtspunkt der Verwirkung als einen typischen Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens ergeben könnte. Diese Fallgruppen des § 242 BGB setzen übereinstimmend voraus, daß für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Daß die Klägerinnen dem Beklagten gegenüber einen Vertrauenstatbestand in der Weise geschaffen hätten, daß dieser davon ausgehen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, weil die Klägerinnen den Unterhalt im Scheidungsverbund nicht geltend gemacht haben, hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich, weil der Beklagte zur Auskunft über seine Einkünft...

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