Leitsatz (amtlich)

Kommt es zu einem Unfall, weil ein Rettungswagen bei rotem Ampellicht in eine Kreuzung einfährt und ist nicht erweislich, dass neben dem Blaulicht auch das Martinshorn zuvor in Betrieb gesetzt worden war, kann dies zur Alleinhaftung des Rettungswagenhalters führen.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 23.12.2010; Aktenzeichen 6 O 199/10)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das Urteil der 6. Zivilkammer des LG Halle vom 23.12.2010 - 6 O 199/10, insoweit abgeändert, als die Entscheidungsformel zu Ziff. 4 aufgehoben wird.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Beklagte zu 62 % und der Kläger zu 38 %. Die Kosten der Berufungsinstanz fallen der Beklagten zu 86 % und dem Kläger zu 14 % zur Last.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend.

Am 24.8.2009 kam es gegen 12:55 Uhr in H. im ampelgeregelten Kreuzungsbereich G. Damm/B. Straße zwischen dem Fahrzeug des Klägers, einem Pkw Peugeot, amtliches Kennzeichen ..., und einem Rettungswagen Daimler Chrysler mit dem amtlichen Kennzeichen ..., dessen Halterin die Beklagte ist, zu einem Unfall.

Der Rettungswagen, welcher eine intensivpflichtige Patientin transportierte, fuhr auf dem G. Damm in Richtung K., trotz des für ihn angezeigten roten Ampellichts in den Kreuzungsbereich ein, wo er mit dem von rechts aus der Ausfahrt Eissporthalle kommenden Pkw des Klägers zusammenstieß.

Der Kläger hat behauptet, bei Grün in den Kreuzungsbereich eingefahren zu sein. Da der Rettungswagen weder Blaulicht noch Martinshorn eingeschaltet gehabt habe, sei der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen. Zudem sei der Rettungswagen mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren.

Als Schaden hat er neben einem Wiederbeschaffungswert seines Pkw von 9.800,- EUR (brutto), abzgl. eines Restwertes i.H.v. 3.380,- EUR und vorprozessual von der Beklagten gezahlter 807,24 EUR und 130,86 EUR, Sachverständigenkosten i.H.v. 392,57 EUR, eine Kostenpauschale von 25,- EUR sowie einen Haushaltsführungsschaden i.H.v. 1.545,56 EUR geltend gemacht.

Weiterhin hat er die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von zumindest 1.500,- EUR verlangt und behauptet, eine - unstreitig gestellte - Distorsion der Halswirbelsäule sowie ein Brustkorbtrauma mit isoliertem Bruch der fünften Rippe beim Unfall erlitten zu haben.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn 7.445,03 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 5.899,47 EUR seit dem 29.9.2007 sowie auf weitere 1.545,56 EUR seit dem 19.8.2010 zu zahlen,

2. an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.7.2010 zu zahlen,

3. ihn gegenüber den Rechtsanwälten R. St., T. U., S. K., R. U. von der Begleichung außergerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 546,69 EUR freizustellen,

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche aus dem Verkehrsunfall vom 24.8.2009 noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu erstatten.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Rettungswagen sei zwar bei Rot, aber mit eingeschaltetem Blaulicht und Martinshorn in die Kreuzung eingefahren. Zudem habe die Fahrerin des Rettungswagens ihre Geschwindigkeit beim Einfahren in die Kreuzung deutlich verlangsamt und sich davon überzeugt, dass alle Verkehrsteilnehmer sie wahrgenommen hätten.

Angesichts dessen sei der Kläger allenfalls berechtigt, ein Drittel seines Schadens ersetzt zu erhalten, wobei das Schmerzensgeld ohnehin weit übersetzt sei und ein Haushaltsführungsschaden nicht vorläge. Zudem, so die Behauptung der Beklagten, habe sie 306,13 EUR als Ausfallschaden wegen einer unfallbedingten Sperrung einer Straßenbahnlinie an die V. AG sowie für die Beseitigung einer entstandenen Ölverschmutzung gegenüber der Firma A. GmbH 1.080,06 EUR aufgewandt (vgl. Bl. 37, 39 - 43 Bd. I d.A.). Hiervon habe der Kläger im Rahmen eines Gesamtschuldnerausgleiches zwei Drittel zu tragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG hat die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Halle, Az.: 899 Js 33065/09, beigezogen und Beweis durch Einvernahme von Zeugen erhoben sowie den Kläger informatorisch angehört. In dem am 23.12.2010 verkündeten Urteil hat es als nicht erwiesen erachtet, dass neben dem Blaulicht auch das Martinshorn eingeschaltet gewesen war. Hingegen stände fest, dass der Rettungswagen mit überhöhter Geschwindigkeit in die Kreuzung eingefahren sei. Vor diesem Hintergrund hat es der Beklagten die Alleinhaftung zugewiesen, wobei es beim Sachschaden lediglich den Wiederbeschaffungswert ohne Mehrwertsteuer (8.235,29 EUR) und als Haushaltsführungsschaden nur einen Betrag von 336,- EUR als ersatzfähig angesehen un...

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