Entscheidungsstichwort (Thema)

Zusammenstoß mit Rettungsfahrzeug an Ampelanlage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch wenn ein Fahrzeug des Rettungsdienstes nach § 35 Abs. 5a StVO bei einer Einsatzfahrt von den Vorschriften der StVO befreit ist, kann eine Sorgfaltsverletzung darin liegen, dass dessen Fahrer bei der Wahrnehmung der Sonderrechte sorgfaltswidrig gehandelt hat. Nach § 35 Abs. 8 StVO kommt den Erfordernissen der Verkehrssicherheit stets Vorrang gegenüber dem Interesse des Einsatzfahrzeuges am raschen Vorwärtskommen zu. Je mehr der Sonderrechtsfahrer von Verkehrsregeln abweicht, umso höhere Anforderungen sind an seine Sorgfalt zu stellen (OLG Frankfurt, Urteil vom 14.03.2016 - 1 U 248/13; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 04.06.1998 - 1 U 42/97).

2. Er darf die Kreuzung nur dann bei Rot überqueren, wenn er sich überzeugt hat, dass die anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben (OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 27.11.2012 - 24 U 45/1).

3. Solange bei einer querenden Straße mit mehreren Fahrspuren eine Fahrspur frei ist und nicht durch wartende Fahrzeuge blockiert wird, sodass der Fahrer des Sonderrechtsfahrzeugs glauben kann, der gesamte Querverkehr habe seine Warnzeichen wahrgenommen und stelle sich darauf ein, darf er nicht darauf vertrauen, die Kreuzung gefahrlos überqueren zu können (BGH, Urteil vom 30.10.1968 - 4 StR 341/68).

4. Genügt der Fahrer eines Sonderrechtsfahrzeugs diesen Sorgfaltsanforderungen nicht, weil er nicht auf den Querverkehr achtet, und übersieht bzw. überhört der Fahrer eines querenden Fahrzeugs die Sondersignale des Sonderrechtsfahrzeugs und fährt in die Kreuzung ein, obwohl vor ihm andere Verkehrsteilnehmer trotz Grünlichts stehen bleiben, kommt bei einer Kollision eine Schadensteilung in Betracht.

 

Normenkette

StVO § 35 Abs. 5a, 8

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 17.05.2023; Aktenzeichen 1 O 153/20)

 

Tenor

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

Das am 17. Mai 2023 verkündete Urteil des Landgerichts Limburg wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 6.237,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. April 2019 zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Klägerin von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren der Rechtsanwälte Röhm und andere in Höhe von 567,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. April 2019 freizustellen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Klägerin und die Berufungen der Beklagten werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten 64 % und die Klägerin 36 % zu tragen.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien wenden sich mit wechselseitig eingelegten Berufungen gegen die erstinstanzliche Entscheidung, mit der das Landgericht die Beklagten teilweise zur Zahlung von Schadensersatz wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen hat.

Am 5. Februar 2019 gegen 19:30 Uhr befuhr der im Eigentum der Klägerin stehende Marke1 Modell1, amtliches Kennzeichen ... die Straße1 in Stadt1 in Fahrtrichtung Straße2. Dieses Fahrzeug wurde von A, dem Sohn der Klägerin gesteuert. Beifahrerin war dessen damalige Freundin B. Zur selben Zeit befuhr das Notarzteinsatzfahrzeug der Beklagten zu 1 mit dem amtlichen Kennzeichen ..., welches bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert war, die Straße3 in Fahrtrichtung Innenstadt. Das Einsatzfahrzeug wurde von C gesteuert. Beifahrer war D.

An der Kreuzung Straße1/Straße3, auf die die Fahrzeuge der Parteien zeitgleich zufuhren, befindet sich eine Lichtzeichenanlage. Als das Fahrzeug der Klägerin die Kreuzung erreichte, wechselte das Lichtzeichen von Rot auf Grün. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Lichtzeichenanlage für das Beklagtenfahrzeug Rot. Auf der rechten Fahrspur der Straße1 stand ein weiteres Fahrzeug, das trotz Grünlichts nicht anfuhr, sondern stehenblieb. In diesem Fahrzeug befanden sich die Eheleute E. Herr A wechselte deshalb noch vor der Kreuzung von der rechten auf die linke Fahrspur der Straße1 und fuhr in den Kreuzungsbereich ein. Dort kollidierte das Fahrzeug der Klägerin mit dem Fahrzeug der Beklagten zu 1. An beiden Fahrzeugen entstandenen Sachschäden.

Zum Unfallzeitpunkt wartete Herr F mit seinem Fahrzeug auf der Linksabbiegerspur der Straße1, Frau G mit ihrem Fahrzeug auf Straße3 in Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeugs.

Die Klägerin hat 75 % der ihr unfallbedingt entstandenen Schäden auf Grundlage des Schadensgutachtens des H vom 18. Februar 2019 geltend gemacht, die sie wie folgt beziffert hat:

Wiederbeschaffungsaufwand

10.530,00 EUR (15.000,00 EUR Wiederbeschaffungswert abzüglich 4.470,00 EUR Restwert)

Nutzungsentschädigung 8

26,00 EUR (14 × 59,00 EUR)

Sachverständigenkosten

1.494,05 EUR.

Mit Schreiben vom 18. März 2019 übe...

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