Leitsatz (amtlich)

Kauft eine Gemeinde Agrarflächen mit der fehlerhaften Vorstellung, es handelt sich bereits um Bauerwartungsland, und wird die Sachmängelgewährleistung hierbei ausgeschlossen, so kann sie sich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vom Vertrag lösen, selbst wenn der geschuldete Kaufpreis den Grundstückswert um ein Vielfaches übersteigt.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 07.06.2002; Aktenzeichen 7 O 417/00)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 16.01.2004; Aktenzeichen V ZR 166/03)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des LG Halle vom 7.6.2002, Geschäftszeichen: 7 O 417/00, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 130 % des nach diesem Urteil und dem Grundstückskaufvertrag vom 16.7.1992 (UR-Nr.: …/92 der Notarin S.) vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe, allerdings bezogen auf den zu vollstreckenden Betrag, leistet.

Die Revision wird zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 756.906,27 Euro festgesetzt.

 

Gründe

A. Wegen der darin enthaltenen tatsächlichen Feststellungen wird auf die angefochtene Entscheidung der 7. Zivilkammer des LG Halle vom 7.6.2002 Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin die Vollstreckungsabwehrklage weiter und meint, der Grundstückskaufvertrag vom 16.7.1992 sei entgegen der Auffassung des LG, das wesentliche Tatsachen außer Acht lasse, aufgrund seiner Sittenwidrigkeit oder der erklärten Anfechtung nichtig. Zumindest habe die Klägerin einen Aufhebungs- oder Anpassungsanspruch, der sich auch aus § 20 des Kaufvertrages herleite.

B. Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf keiner Rechtsverletzung, ohne dass nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Das LG hat vielmehr zutreffend anspruchsbeeinträchtigende Einwendungen der Klägerin gegen den Grundstückskaufvertrag verneint (§§ 767 Abs. 1; 795 S. 1; 794 Abs. 1 Nr. 5 a.F.; 797 Abs. 4 ZPO).

I. Die Zivilkammer des LG hat sich mit der Nichtigkeit des Grundstückskaufs auseinander gesetzt. Nicht geprüft wurde die im Verlaufe der ersten Instanz aufgeworfene Frage, ob der Vertrag überhaupt zustande kommen konnte, weil die hierzu notwendigen Genehmigungen vorlagen. Hiervon geht der Senat nach Vorlage der Grundstücksverkehrsgenehmigung vom 4.4.1995 durch die Beklagte (Bd. II Bl. 124 d.A.) auf den Hinweis vom 18.3.2003 (Bd. II Bl. 108–110 d.A.) aus.

1. Gem. § 49 Abs. 3 Bst. a) der Kommunalverfassung[1] bedurfte die unentgeltliche Veräußerung von Vermögensgegenständen der Genehmigung der Rechtsaufsichtsbehörde. Gleiches galt für jede Veräußerung von Grundstücken (§ 49 Abs. 3 Bst. b) Kommunalverfassung). Ob der Grundstückskaufvertrag vom 16.7.1992, der nicht vom (teilweisen) Willen der Parteien zur Unentgeltlichkeit getragen und im Übrigen auf Liegenschaftserwerb durch die Klägerin gerichtet war, mit Blick hierauf möglicherweise hätte ebenfalls genehmigt werden müssen, kann offen bleiben. Spätestens mit der Gemeindeordnung wurde das Grundstücksgeschäft wirksam. Beide Genehmigungserfordernisse finden sich in der jetzt geltenden Gemeindeordnung des Landes Sachsen-Anhalt vom 5.10.1993[2] nicht mehr. § 105 Abs. 3 GO LSA sieht nur noch die Vorlage des Beschlusses der Gemeindevertretung bei der Kommunalaufsicht vor. Ein schwebend unwirksamer Vertrag erlangt Gültigkeit, wenn die Genehmigungspflicht nach neuen Rechtsvorschriften entfällt[3].

2. Ob ein Gemeinderatsbeschluss zum Grundstückserwerb gefasst war, bedarf keiner Klärung. Nach der Kommunalverfassung erlangten rechtsgeschäftliche Erklärungen, die der Bürgermeister als Vertreter der Gemeinde abgab, regelmäßig auch dann für die Gemeinde Verbindlichkeit, wenn entspr. Beschlüsse der Gemeindevertretung nicht vorlagen[4].

3. Der Grundstückskaufvertrag der Parteien unterfiel der Grundstücksverkehrsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.4.1991[5]. gem. § 2 Bst. a) bedurften die Veräußerung eines Grundstücks und der schuldrechtliche Vertrag der Genehmigung. Für die Erteilung der Genehmigung waren die Landratsämter zuständig (§ 7 GVO). Dies änderte sich mit der GVO in der Fassung der Bekanntmachung vom 3.8.1992[6]. Für den Fall der Verfügungsbefugnis der Treuhandanstalt erfolgte die Genehmigung nunmehr durch deren Präsidenten (§ 7 S. 2 GVO; § 8 S. 2 u. 3 GVO in der Fassung der Bekanntmachung vom 20.12.1993[7]). Die Beklagte hat die Genehmigung vom 4.4.1995 vorgelegt (Bd. II Bl. 124 d.A.), was in der Berufungsinstanz nach §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zu berücksichtigen ist.

4. Dass die Genehmigung der vollmachtlosen Vertretung durch die Beklagte erfolgte, setzen die Parteien voraus. Ansonsten würde die Notarin mangels Fälligkeit (vgl. § 4 Abs. 9 S. 3 des Kaufvertrages) kein...

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