Leitsatz (amtlich)

1. Vertritt ein Prozessbevollmächtigter im Rechtsstreit mehrere Streitgenossen, von denen jedoch lediglich einem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, so ist für die Höhe der aus der Staatskasse zu zahlenden Rechtsanwaltsvergütung der Beschluss maßgeblich, durch welchen die Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.

2. Enthält dieser Beschluss keine Anordnung einer Beschränkung des Vergütungsanspruchs, z.B. auf die Erhöhungsbeträge nach Nr. 1008 VV-RVG, so fehlt es für eine Beschränkung im Kostenfestsetzungsverfahren an einer rechtlichen Grundlage.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Beschluss vom 20.07.2011; Aktenzeichen 10 O 2428/06)

 

Tenor

Auf die Beschwerde des der Klägerin zu 1) beigeordneten Rechtsanwalts wird der Beschluss des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des LG Magdeburg vom 20.7.2011 aufgehoben.

Die Erinnerung der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des LG Magdeburg vom 9.2.2011, durch den die aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.384,57 EUR festgesetzt worden ist, wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Kläger haben als Erben im Ausgangsverfahren von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht, bei dem der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Klägerinnen zu 2) bis 4) verstarb.

Mit Beschluss vom 22.10.2007 (Az.: 9 W 23/07) hat das OLG Naumburg, unter Abänderung einer anderslautenden Entscheidung des LG Magdeburg, der Klägerin zu 1) für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt D. G. aus P. bewilligt. Gleichzeitig hat es der Klägerin aufgegeben, für jeden Rechtszug monatliche Raten i.H.v. 75 EUR zu zahlen, solange das Gericht nichts anderes bestimme, maximal 48 Raten.

Nach Abschluss des Rechtsstreits ist von der Rechtspflegerin des LG mit Beschluss vom 9.2.2011 die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.384,57 EUR festgesetzt worden. Gegen diesen Beschluss hat die Bezirksrevisorin beim LG Magdeburg unter dem 6.6.2011 Erinnerung der Landeskasse mit dem Antrag eingelegt, die Gesamtforderung des beigeordneten Rechtsanwalts auf nur 139,59 EUR - die 0,3 fache Erhöhungsgebühr gem. Nr. 1008 RVG-VV zzgl. 19 % Mehrwertsteuer - "auszufolgen".

Mit Beschluss vom 20.7.2011 hat der Einzelrichter der 10. Zivilkammer auf die Erinnerung der Bezirksrevisorin die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 139,59 EUR festgesetzt. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung (BGH NJW 1993, 1715) hat er ausgeführt, dass nur der Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 RVG-VV zu erstatten sei. Es sei irrelevant, dass der Bewilligungsbeschluss des OLG Naumburg vom 19.9.2008 - richtig: 22.10.2007 - keine Beschränkung auf den Erhöhungsbetrag enthalte. Da der finanziell leistungsfähige Streitgenosse nicht benachteiligt würde, wenn er den Anwalt allein beauftragt hätte, widerspräche es dem Sinn des Prozesskostenhilferechts, wenn die vermögende Partei dadurch entlastet würde, dass dem Verfahren eine bedürftige Partei hinzuträte.

Gegen diesen am 22.7.2011 zugestellten Beschluss haben die Verfahrensbevollmächtigten des beigeordneten Rechtsanwalts mit Schriftsatz vom 22.7.2011, der noch am selben Tage beim LG eingegangen ist, Beschwerde eingelegt. Sie beantragen weiterhin, die aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.384,57 EUR festzusetzen.

Das LG hat mit Beschluss vom 27.7.2011 der Beschwerde "der Klägerinnen" nicht abgeholfen und die Sache dem OLG Naumburg zur Entscheidung übersandt.

Die Einzelrichterin hat das Verfahren wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung dem Senat übertragen.

II. Die Beschwerde des beigeordneten Rechtsanwalts - nicht der Klägerinnen - ist zulässig (§§ 33 Abs. 3, 56 Abs. 2 Satz 1 RVG). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Dem der Klägerin zu 1) beigeordneten Rechtsanwalt steht eine aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung i.H.v. 1.384,57 EUR zu. Sein Vergütungsanspruch ist nicht auf den Mehrvertretungszuschlag gem. Nr. 1008 RVG-VV i.H.v. 139,59 EUR beschränkt.

1. Zu der Höhe der Rechtsanwaltsvergütung aus der Staatskasse bei einem gemeinsamen Prozessbevollmächtigten mehrerer Streitgenossen, von denen nur einem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.

a) Nach herrschender Auffassung ist der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse in dem Fall, in dem einem von mehreren Streitgenossen, die durch einen gemeinsamen Rechtsanwalt vertreten werden, Prozesskostenhilfe ohne jede Beschränkung bewilligt wird, nicht auf den Mehrvertretungszuschlag nach Nr. 1008 VV-RVG beschränkt, sondern umfasst die vollen Anwaltsgebühren (§ 49 RVG), die durch die Vertretung der bedürftigen Partei ausgelöst worden sind (OLG Bamberg, Beschl. v. 18.5.2000 - 3 W 39/00, zitiert bei juris; OLG München, Beschl. v. 30.11.2010 - 11 W 835/09, MDR 2011, 326; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, 2...

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