Leitsatz (amtlich)

1. a) Für eine Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Auswahlverfahrens nach § 13 Abs. 1 RettDG LSA zur Erteilung einer Genehmigung zur Leistungserbringung im bodengebundenen Rettungsdienst ist der Rechtsweg zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen nach §§ 155, 156 GWB nicht eröffnet, wenn für die konkrete Ausschreibung die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eingreift.

b) Für die Frage, ob die ausgeschriebenen Dienstleistungen i.S.v. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB "von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden", kommt es ausschließlich darauf an, an wen sich das konkrete Auswahlverfahren richtet.

2. Im Falle der Unzulässigkeit des von der Antragstellerin beschrittenen Rechtsweges zu den vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen ist die dies bereits feststellende und über Kostenfragen befindende Entscheidung der Vergabekammer nicht aufzuheben und die Rechtssache an das sachlich und örtlich zuständige Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen.

3. a) In dem Beschwerdeverfahren bis zur Vorab-Entscheidung nach § 17a GVG ist auch im Falle der Unzulässigkeit des Rechtsweges eine Entscheidung über einen Antrag nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zu treffen.

b) Zur Interessenabwägung nach § 173 Abs. 2 GWB im Falle ungewisser Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrages.

 

Verfahrensgang

VK Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 02.03.2022; Aktenzeichen 1 VK LSA 19-20/21)

 

Tenor

I. 1. Der Rechtsweg zu den Vergabenachprüfungsinstanzen i.S.v. §§ 155, 156 Abs. 1 und Abs. 2 GWB ist unzulässig.

2. Der Termin der mündlichen Verhandlung am 13. Mai 2022 wird aufgehoben.

3. Das Verfahren wird an das Verwaltungsgericht Magdeburg verwiesen.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

II. 1. Der Antrag der Beteiligten zu 1) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Sachsen-Anhalt vom 2. März 2022 wird zurückgewiesen.

2. Der Geschäftswert des Antragsverfahrens wird auf bis zu 4.750.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Der Beteiligte zu 2), eine kommunale Gebietskörperschaft und auf seinem Gemeindegebiet nach § 4 Abs. 1 Rettungsdienstgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (RettDG LSA) der Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes, beauftragte bisher die Beteiligte zu 1) als Leistungserbringerin im bodengebundenen Rettungsdienst, deren Genehmigungen zum 31.12.2022 auslaufen. Am 22.04.2021 beschloss der Kreistag des Beteiligten zu 2) einen neuen Rettungsdienstbereichsplan.

Der Beteiligte zu 2) veröffentlichte am 18.10.2021 u.a. über die eVergabe-Plattform "Deutsche eVergabe" ein Auswahlverfahren zur Erteilung von nunmehr zwei Genehmigungen für die Leistungserbringung im bodengebundenen Rettungsdienst nach §§ 12 Abs. 2, 13 Abs. 1 RettDG LSA für den Zeitraum vom 01.01.2023 bis zum 31.12.2028. Optional war eine einseitige Verlängerungsoption des Beteiligten zu 2) für maximal zweimal drei Jahre vorgesehen. Hierzu teilte er die Leistungserbringung in zwei Gebietslose und sah eine Zuschlagslimitierung von je einem Los je ausgewähltem Bieter vor.

In der elektronischen Bekanntmachung des "Auswahlverfahrens Rettungsdienst 2023" gab der Beteiligte zu 2) als Art der Vergabe "Öffentliche Ausschreibung nach VOL/A" an. Die Unterlagen für das Auswahlverfahren wurden unter einem in der Bekanntmachung genannten Link digital zum Herunterladen zur Verfügung gestellt; sie enthielten die Leistungsbeschreibung, jeweils ein Muster der zu erteilenden Genehmigung, die Auswahlkriterien und die mit dem Angebot vorzulegenden Unterlagen, welche der Beteiligte zu 2) für die Beurteilung der Eignung verlangte.

Darüber hinaus informierte der Beteiligte zu 2) die aus seiner Sicht in Betracht kommenden Bewerber, das waren neben der Beteiligten zu 1) die jeweiligen Orts-, Kreis- bzw. Landesverbände der Hilfsorganisationen A., B., C. und D.

In den Vergabeunterlagen beschrieb der Beteiligte zu 2) das Auswahlverfahren als öffentliche Ausschreibung nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 12 Abs. 2, 13 Abs. 1 RettDG LSA. Entsprechend des s.E. in diesen Vorschriften zum Ausdruck gebrachten Willens des Landesgesetzgebers, dass im Bereich der Vergabe von Dienstleistungen des Rettungsdienstes ein Wettbewerb der im Bevölkerungsschutz tätigen gemeinnützigen Organisationen mit gewerblichen Anbietern nicht stattfinden solle, beschränkte der Beteiligte zu 2) den Kreis der zum Auswahlverfahren zugelassenen Bewerber auf gemeinnützige Organisationen und Vereinigungen, welche nach § 12 Abs. 2 Katastrophenschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (KatSG LSA) mitwirkten. Er brachte seine Ansicht zum Ausdruck, dass die Durchführung eines förmlichen Kartellvergabeverfahrens nicht erforderlich sei; der Vierte Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sei nicht anwendbar, weil die Vergabe ausschließlich auf gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen beschränkt sei und deswegen die Bereichsausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB eingreife.

Die Beteiligte zu 1) rügte innerhalb der Angebotsfrist m...

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