Normenkette

BGB §§ 1594, 1599, 1600 Abs. 2-3; BGH § 1592; FamFG § 169

 

Verfahrensgang

AG Halle (Saale) (Aktenzeichen Berschl. 19.5.2021, 26 F 1064/20 AB)

 

Nachgehend

BVerfG (Urteil vom 09.04.2024; Aktenzeichen 1 BvR 2017/21)

 

Tenor

Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 4) und 5) wird der Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 19.05.2021 - 26 F 1064/20 AB - abgeändert.

Der Antrag des Beteiligten zu 3) festzustellen, dass nicht der Beteiligte zu 5), sondern er, der Beteiligte zu 3), Vater des Beteiligten zu 1) ist, wird als unbegründet abgewiesen.

Die Gerichtskosten des Verfahrens tragen die Beteiligten zu 3), 4) und 5) jeweils zu einem Drittel; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 2.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten zu 3) und 4), welche seit etwa April 2019 eine nichteheliche Lebensgemeinschaft führten, sind die Eltern des am 22.04.2020 geborenen Beteiligten zu 1). Wenige Tage nach der Geburt des Beteiligten zu 1) teilte die Beteiligte zu 4), welche noch weitere fünf Kinder von unterschiedlichen Vätern hat, dem Beteiligten zu 3) mit, dass sie die Beziehung mit ihm nicht fortsetzen wolle. Ende Mai/Anfang Juni zog der Beteiligte zu 3) bei der Beteiligten zu 4) aus und der Beteiligte zu 5) bei ihr ein, welcher seither zusammen mit sämtlichen Kindern bei ihr lebt. Zu einem für den 10.06.2020 vereinbarten Termin beim Standesamt, in dem der Beteiligte zu 3) die Vaterschaft hinsichtlich des Beteiligten zu 1) anerkennen wollte, erschien die Beteiligte zu 4) nicht. Eine einvernehmliche Lösung unter Einschaltung des Jugendamtes scheiterte daran, dass die Beteiligte zu 4) zu den Terminen vom 06.06. und 09.07.2020 nicht erschien. Am 09.07.2020 leitete der Beteiligte zu 3) das vorliegende Verfahren ein. Am 06.08.2020 erkannte der Beteiligte zu 5) mit Zustimmung der Beteiligten zu 4) die Vaterschaft an.

Mit Beschluss vom 19.05.2021 stellte das Amtsgericht fest, dass nicht der Beteiligte zu 5), sondern der Beteiligte zu 3) Vater des Beteiligten zu 1) ist. Zur Begründung führte es unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 25.09.2018, 1 BvR 2814/17, und des Oberlandesgerichts Hamburg vom 29.01.2019, 12 WF 165/18, aus, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung noch keine sozial-familiäre Beziehung zwischen den Beteiligten zu 1) und 5) bestanden habe.

Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beteiligten zu 4) und 5), welche unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.03.2021, XII ZB 364/19, die Auffassung vertreten, dass maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 1600 Abs. 2 BGB der Schluss der Beschwerdeinstanz sei.

Der Beteiligte zu 3) verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II. Die gem. §§ 58 ff FamFG zulässigen Beschwerden der Beteiligten zu 4) und 5) haben in der Sache Erfolg.

Die Anfechtung durch den Beteiligten zu 3) setzt gem. § 1600 Abs. 2 BGB u.a. voraus, dass zwischen den Beteiligten zu 1) und 5) keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Das Fehlen einer solchen sozial-familiären Beziehung ist vom Beteiligten zu 3) darzulegen und zu beweisen; lässt es sich nicht feststellen, ist sein Antrag als unbegründet abzuweisen (vgl. BGH, NJW 2008, 2985, 2986; Erman-Hammermann, BGB, 16. Aufl., § 1600, Rn. 21, 21a; Müko-Wellenhofer, BGB, 8. Aufl., § 1600, Rn. 24; Staudinger-Rauscher, BGB, Neubearb. 2011, § 1600, Rn. 44a). Da der Beteiligte zu 3) keinen Einblick in die Beziehung der Beteiligten zu 4) und 5) hat, trifft die Beteiligten zu 4) und 5) allerdings eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, die Voraussetzungen einer sozial-familiären Beziehung darzulegen (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 29.01.2019, 12 WF 165/18, Rn. 13, m.w.N., zitiert nach juris, m.w.N.).

Das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung setzt keine bestimmte Mindestdauer voraus. Ein längeres Zusammenleben mit dem Kind ist zwar ein Indiz, nicht aber notwendige Voraussetzung. Eine sozial-familiäre Beziehung kann daher auch bei kürzerem Zusammenleben bejaht werden, wenn dieses noch andauert und der Tatrichter davon überzeugt ist, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat und in einer Weise trägt, die auf Dauer angelegt erscheint. Eine sozial-familiäre Beziehung kann demzufolge auch sogleich nach der Geburt gegeben sein. Dass die Voraussetzungen der Regelannahmen nach § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfüllt sind, schließt dies nicht aus, denn bei den Regelannahmen handelt es sich lediglich um widerlegliche Indizien und nicht um eine gesetzliche Begrenzung des Begriffs der sozial-familiären Beziehung (vgl. BGH, FamRZ 2018, 275, 277; OLG Frankfurt, Beschl. v. 08.07.2019, 1 UF 1/19, Rn. 23; jeweils zitiert nach juris). Unabhängig davon sind jedenfalls ab einem Jahr des Zusammenlebens auch die Voraussetzungen für die Regelannahme des § 1600 Abs. 3 S. 2 Alt. 2 BGB erfüllt (vgl. BGH, FamRZ 2005, 705 f; BGH, Beschl. v. 18.03.2020, XII ZB 321/19, Rn. 27, Müko-Wellendorfer, BGB, 8. Au...

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