Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung einer einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine einstweilige Anordnung zum Umgangsrecht ist bei schwerwiegender Gefährdung des Kindeswohls in Anbetracht der unüberbrückbaren Interessengegensätze zwischen Kindesvater und Pflegeeltern jedenfalls dann auszusetzen, wenn zuvor der Anspruch auf rechtliches Gehör des Amtsvormunds, der Verfahrenspflegerin und der Pflegeeltern verletzt worden ist und die Aussetzung der einstweiligen Anordnung nach dem vorrangig nach Art. 6 Abs. 1 und 2 S. 1 GG zu beachtenden Kindeswohl die am wenigsten abträgliche Maßnahme darstellt.

 

Normenkette

BGB § 1684 Abs. 4 Sätze 1-2, § 1791c; ZPO §§ 621g, 620e, 621 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 6 Abs. 1, 2 S. 1; FGG § 50

 

Verfahrensgang

AG Wittenberg (Beschluss vom 02.12.2004; Aktenzeichen 5 F 463/02)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 10.06.2005; Aktenzeichen 1 BvR 2790/04)

BVerfG (Beschluss vom 01.02.2005; Aktenzeichen 1 BvR 2790/04)

BVerfG (Beschluss vom 28.12.2004; Aktenzeichen 1 BvR 2790/04)

 

Tenor

Bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Amtsvormundes und der Verfahrenspflegerin gegen den eine einstweilige Anordnung zum Umgangsrecht beinhaltenden Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Wittenberg, Az.: 5 F 463/02 UG, vom 2. Dezember 2004 wird auf Antrag der Beschwerdeführer die Vollziehung der einstweiligen Anordnung ausgesetzt.

 

Gründe

Die Vollziehung der durch Beschluss des Amtsgerichts Wittenberg vom 2. Dezember 2004 ergangenen einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht (Bd. III, Bl. 218 – 220 d. A.) war bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde sowohl der Verfahrenspflegerin als auch des Amtsvormundes gegen die Entscheidung antragsgemäß nach Maßgabe der §§ 621 g, 620 e, 621 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Verb. mit § 1684 Abs. 4 Satz 1 und 2 BGB auszusetzen.

Die Entscheidung des Amtsgerichts verletzt zum einen die Beschwerdeführer und die Pflegeeltern in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör und Gewährleistung eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens (1). Zum anderen fehlt es in Anbetracht der seit langem bestehenden Entscheidungsreife der seit rund zweieinhalb Jahren in erster Instanz anhängigen Hauptsache an einem Anordnungsgrund in Gestalt eines besonderen Eilbedürfnisses für den – zumal wiederholten – Erlass einer einstweiligen Anordnung (2). Auch unter Abwägung der widerstreitenden Rechte bzw. Interessen der Beteiligten erweist sich ungeachtet, aber erst recht in Ansehung der verfahrensrechtlichen Defizite in erster Instanz eine Aussetzung der einstweiligen Umgangsregelung als gleichermaßen angemessene wie ausgewogene, dem vorrangig nach Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG zu beachtenden Kindeswohl relativ am wenigsten abträgliche Maßnahme (3).

1. Der nach Art. 103 Abs. 1 GG für jedermann und namentlich für die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens wie den Amtsvormund und die Verfahrenspflegerin des Kindes gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör und der rechtsstaatlich konstitutive Anspruch auf ein faires Verfahren ist bei Erlass der einstweiligen Beschlussanordnung seitens des Amtsgerichts verletzt worden. Allein deshalb ist die mit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung zugleich seitens der Beschwerdeführer beantragte Aussetzung der Vollziehung nach Maßgabe der vorbezeichneten Vorschriften geboten.

Sowohl das Jugendamt als Amtsvormund im Sinne von § 1791 c BGB wie auch die nach § 50 FGG bestellte Verfahrenspflegerin sind als unmittelbar beteiligte Akteure des Umgangsrechtsverfahrens in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör und auf Gewährleistung eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens durch den vorzeitigen Erlass der einstweiligen Anordnung nachhaltig verletzt worden. Denn obgleich das Amtsgericht mit Verfügung vom 23. November 2004 (Bd. III, Bl. 189 Rs. d. A.), dem Amtsvormund zugestellt am 26.11.2004 (Bd. IV, Bl. 26 d. A.), eine einwöchige Frist zur Stellungnahme zum neuerlichen Antrag des Kindesvaters auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht (Bd. III, Bl. 179 ff. d. A.) gesetzt hatte, hat es bereits am 02. Dezember 2004 vor Ablauf der Frist ohne Anhörung des Amtsvormundes und ohne Beachtung eines noch am 1. Dezember 2004 gestellten Antrages auf Fristverlängerung (Bd. III, Bl. 221 d. A.) die einstweilige Anordnung erlassen.

Der für das Kind bestellten Verfahrenspflegerin ist der neuerliche Antrag des Kindesvaters überhaupt nicht zugestellt worden (Bd. IV, Bl. 10 d. A.).

Auch das Recht der Pflegeeltern des Kindes auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist bei der angefochtenen Entscheidung vom 2. Dezember 2004 nicht beachtet worden, nachdem deren neue Prozessbevollmächtigte am 30. November per Fax unter Hinweis auf die notwendige Einarbeitung das Amtsgericht um eine angemessene – mangels Eilbedürftigkeit der Entscheidung auch zu gewährende – Fristverlängerung zur Stellungnahme ersucht hatte (Bd. III, Bl. 215/216 d. A.).

2. Der Erlass einer neuerlichen einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht war auch in Ermangelung eines ...

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