Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsprivileg des Unternehmers: Unfall des Arbeitnehmers beim Aussteigen aus dem von einem Fremdunternehmen betriebenen Werksbus

 

Leitsatz (amtlich)

1. Richtet der Unternehmer einen Werksverkehr ein, bei dem er Betriebsangehörige laufend von einem Fremd- oder Subunternehmen zur Betriebsstätte bringen und wieder zurückfahren lässt, ist die Beförderung integraler Bestandteil der Organisation des Arbeitsbetriebs. Somit handelt es sich auch bei einem derartigen Werksverkehr um einen zu der versicherten Tätigkeit nach § 8 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b SGB VII zählenden Betriebsweg und nicht um einen Wegeunfall i.S.d. § 8 Abs. 2 SGB VII.

2. Hinsichtlich des Arbeitnehmers und dem Busfahrer stellt sich die Fahrt eines solchen Werksbusses einschließlich der Ein- und Aussteigevorgänge als vorübergehende Tätigkeit in einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S.d. § 106 Abs. 3 SGB VII dar. Die Haftung des Busunternehmens scheidet somit wegen des Haftungsprivilegs aus §§ 106 Abs. 3, 105 Abs. 1 SGB VII aus.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1; SGB 7 § 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b; SGB 7 § 8 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; SGB 7 § 105 Abs. 1; SGB 7 § 106 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 01.09.2011; Aktenzeichen 74 O 1562/10)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 30.04.2013; Aktenzeichen VI ZR 155/12)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 26.9.2011 wird das Endurteil des LG Landshut vom 1.9.2011 (Az. 74 O 1562/10) abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

5. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Verkehrsunfall vom 22.6.2009 geltend.

Der Beklagte zu 1) war am Schadenstag bei der Beklagten zu 2) als Busfahrer angestellt. Die Beklagte zu 2) ist Halterin des Fahrzeugs, in welchem der Kläger zu Schaden kam. Das Fahrzeug war zum Schadensfall bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert. Die Beklagte zu 2) ist ein von der Firma B. beauftragtes Busunternehmen, das von der Firma B. mit der Durchführung der Fahrten der Werksbusse beauftragt wurde. Der Kläger ist bei der Firma B. angestellt und arbeitet in deren Werk in D. Er wird an Arbeitstagen von einem sog. Werksbus der Fa. B. (so der unstreitige Tatbestand des Ersturteils) von seinem Wohnort in E. abgeholt und von diesem an seine Arbeitsstelle gebracht.

Am 22.6.2009 wurde der Kläger gegen 4.10 Uhr in E. abgeholt und kam gegen 4.40 Uhr in D. im Werk 2 der Fa. B. mit dem Bus der Beklagten zu 2) an. Der Bus der Beklagten zu 2) hielt an der sich außerhalb des Werkstores der Fa. B. befindlichen Ausstiegsstelle für den Werksbus. Der Kläger stieg an der hinteren Türe des Busses aus, kam dabei zu Sturz und lag anschließend auf dem Boden. Bei dem Sturz zog sich der Kläger eine distale Unterarmfraktur links mit Gelenkbeteiligung zu und war infolgedessen für den Zeitraum vom 22.6.2009 bis 12.7.2009 zu 100 % arbeitsunfähig. Die Berufsgenossenschaft Holz und Metall, Bezirksverwaltung M., erkannte mit Bescheid vom 23.9.2010 den Unfall vom 22.6.2009 bestandskräftig als Arbeitsunfall an. Der Beklagte zu 1) ist im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Beklagten zu 2) gesetzlich unfallversichert.

Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil vom 1.9.2011 (Bl. 199/210 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG Landshut hat nach Beweisaufnahme die Beklagten verurteilt, an den Kläger samtverbindlich 25 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten und ein Teilschmerzensgeld von 9.000 EUR zu bezahlen. Weiter wurde festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, weiteren materiellen und immateriellen Schaden des Klägers aus dem Unfallereignis samtverbindlich zu tragen; im Übrigen wurde die Klage abgewiesen.

Nach Ansicht des LG sei die Haftung der Beklagten nicht nach § 105 I SGB VII ausgeschlossen. Es handle sich hier um einen Wegeunfall i.S.d. § 8 II SGB VII, da sich die Bushaltestelle außerhalb des Werkstors der Fa. B. befand und der Unfall sich dort ereignete. Bei der Fahrt mit dem Werksbus zum Betriebsgelände gehe es nicht um eine Tätigkeit, die der betrieblichen Tätigkeit gleichsteht, sondern um den Weg des Arbeitnehmers zur Arbeit. Hinsichtlich der Erwägungen des LG wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses den Beklagten am 5.9.2011 zugestellte Urteil haben diese mit einem beim OLG München am 26.9.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 221/222 d.A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem beim OLG München am 7.12.2011 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 228/234 d.A....

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