Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem 34 Jahre alten Mann, der unter bewegungsabhängigen Thoraxschmerzen, Durchfall und Erbrechen leidet, ist die Diagnose Interkostalneuralgie und Magen/Darminfekt vertretbar. Eine Klinikeinweisung zum Ausschluss eines Herzinfarkts mittels EKG/Enzymuntersuchung war 1996 nicht geboten.

2. Zur (problematischen) Abgrenzung zwischen Befunderhebungsfehler und therapeutischer Aufklärung.

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 18.01.2006; Aktenzeichen 9 O 1101/99)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 16.10.2007; Aktenzeichen VI ZR 229/06)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG München I vom 18.1.2006 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, falls der Beklagte nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegen den Beklagten Schadenersatzansprüche wegen behaupteter fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.

Am Morgen des 6.3.1996 klagte der zu diesem Zeitpunkt 34 Jahre alte Kläger gegenüber seiner damaligen Ehefrau, der Zeugin Gabriele S.-K., über Schwindel und Übelkeit. Er litt ferner an Durchfall und Erbrechen. Frau S.-K. verständigte daraufhin den ärztlichen Notdienst. Der Beklagte traf gegen 08.00 Uhr in der Wohnung des Klägers ein.

Dem Beklagten wurde über Schmerzen im Brustbereich des Klägers berichtet. Frau S. wies ihn darauf hin, dass in der Familie des Klägers eine Herzinfarktgefährdung bestehe. Eine Blutdruckmessung ergab bei bekanntem Hypertonus 200/130, der Puls war bei 70 Schlägen pro Minute rhythmisch.

Zur Senkung des hohen Blutdrucks verabreichte der Beklagte dem Kläger eine Tablette Gelonida sowie 5 mg Nifedipin (Markenbezeichnung Adalat). Nachdem diese Medikation jedoch nach 15 Minuten wieder erbrochen wurde, verabreichte der Beklagte intramuskulär eine Ampulle Dolantin. Während der Anwesenheit des Beklagten suchte der Kläger zweimal wegen Durchfalls und Erbrechens die Toilette auf.

Der Beklagte diagnostizierte einen Infekt. Auf dem Notfallprotokoll vermerkte er: "Gripp. Infekt, Interkostalneuralgie, Diarrhoe". Die Frage des Beklagten, ob er ins Krankenhaus gehen wolle, verneinte der Klager.

Spätestens kurz vor 12.00 Uhr des 6.3.1996 kam es zu einer deutlichen Zustandsverschlechterung beim Kläger. Seine Ehefrau fand ihn leblos am Boden liegend vor. Der Notarzt stellte einen Atem- und Kreislaufstillstand fest. Die Wiederbelebung verlief zwar erfolgreich, es kam jedoch zu einem generalisierten hypoxischen Hirnschaden, der bleibende Beeinträchtigungen verursacht hat. Im Krankenhaus Dritter Orden, in das der Kläger eingeliefert wurde, stellte man einen akuten Hinterwandinfarkt fest.

In einem gegen den Beklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahren 125 Js 10494/98 der Staatsanwaltschaft M. I erstattete der Gerichtsmediziner Prof. Dr. E. ein Gutachten vom 14.12.1998 sowie ein Ergänzungsgutachten vom 21.2.2000. Ferner wurde die Ehefrau des Klägers als Zeugin vernommen.

Die Berufshaftpflichtversicherung des Beklagten zahlte an den Kläger ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht und unter Vorbehalt der Rückforderung insgesamt 60.000 DM.

Der Kläger hat behauptet, der Beklagte sei bei der Untersuchung auch darauf hingewiesen worden, dass er rauche. Aufgrund seines Zustandes bei der Untersuchung und den Angaben seiner Frau hätte der Beklagte die Möglichkeit eines Herzinfarkts in Betracht ziehen und eine sofortige weitere diagnostische Abklärung veranlassen müssen. Hierdurch hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit der Hinterwandinfarkt vermieden werden können. Jedenfalls aber wäre es lediglich zu einem deutlich kürzeren Herzstillstand gekommen. Der hypoxische Hirnschaden wäre entweder nicht eingetreten oder hätte erheblich weniger gravierende Folgen gehabt.

Die geleistete Zahlung lasse er sich auf seinen Schmerzensgeldanspruch anrechnen.

Der Kläger hat vor dem LG zuletzt beantragt:

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes weiteres Schmerzensgeld von mindestens 240.000 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.4.2000, sowie 8,42 % hieraus für die Zeit vom 01.05. bis 31.8.2000, sowie 9,26 % hieraus seit 1.9.2000 zu bezahlen.

II. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst für die Jahre 1996/1997 i.H.v. 118.957,29 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.4.2000, sowie 8, 42 % hieraus für die Zeit vom 01.05. bis 31.8.2000, sowie 9,26 % hieraus seit 1.9.2000 zu bezahlen.

III. Für die Monate Januar bis inklusive Mai 1998 wird der Beklagte verurteilt, dem Kläger den entgangenen Verdienst i.H.v. 54.166,65 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit bis zum 30.4.2000, sowie 8,42 % hieraus für die Zeit vom 01.05. bis 31.8.2000 sowie 9,26 % hieraus seit 1.9.2000 zu bezahlen.

IV. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den entgangenen Ve...

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