Leitsatz (amtlich)

›1. Für die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit ein unterhaltspflichtiges Kind vom Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht (§ 91 BSHG) für dessen Leistungen zur Unterbringung eines Elternteils in einem Pflegeheim in Anspruch genommen werden kann, ist auf die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nach § 1603 BGB abzustellen. Unter Umständen muss der Unterhaltspflichtige auch den Vermögensstamm verwerten.

2. § 1603 Abs. 1 BGB gewährleistet jedem Unterhaltspflichtigen vorrangig die Sicherung seines eigenen angemessenen Unterhalts, ihm sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt. Wie beim Einkommen ist auch beim Vermögen die Lebensstellung, die dem Einkommen, Vermögen und sozialen Rang des Verpflichteten entspricht, zu berücksichtigen.

3. Bei der Bemessung der für die Frage der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten maßgebenden Vermögensgrenze kann auch das Grundsicherungsgesetz nicht außer Acht gelassen werden. Es muss eine dem jeweiligen Unterhaltszeitraum angemessene individuelle unterhaltsrechtliche Schonvermögensgrenze gefunden werden.‹

 

Verfahrensgang

AG Dillingen a.d. Donau (Entscheidung vom 06.08.2003; Aktenzeichen 1 F 247/03)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 30.08.2006; Aktenzeichen XII ZR 98/04)

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten (geb. 17. Februar 1955) aus übergegangenem Recht (§ 91 BSHG) in Anspruch.

Die Mutter des Beklagten, die am 13. April 1922 geborene Frau Anna B erhält vom Kläger seit 1. Dezember 2001 Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG, weil sie im privaten Pflege- und Seniorenheim ... untergebracht ist. Im eingeklagten Zeitraum (1. Dezember 2001 bis 30. Juni 2002) hat der Kläger 4.680,80 Euro aufgewendet, weil die Einkünfte der Mutter des Beklagten aus Altersrente, Witwenrente und Leistungen nach der Pflegeversicherung den Aufwand nicht dekken.

Der Beklagte zahlt an den Träger des Heims zur Deckung weiterer Aufwendungen des Heims für die Mutter, die der Kläger nicht übernommen hat, ca. 100 DM, seit 1. Januar 2002 ca. 100 Euro monatlich.

Mit Schreiben vom 27. Februar 2001 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass der Unterhaltsanspruch der Mutter gegen ihn auf den Bezirk ab Zugang dieser Mitteilung übergehe und forderte den Beklagten zur Erklärung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf, nachdem am 27. Februar 2001 Antrag auf Gewährung von Sozialhilfe gestellt worden war.

Mit Bescheid vom 10. Januar 2002 wurde die Sozialhilfe bewilligt und mit Schreiben vom 11. Januar 2002 dem Beklagten die Gewährung von Sozialhilfe und der Übergang des Unterhaltsanspruchs mitgeteilt.

Der Beklagte hat unter dem 21. November 2001 ein monatliches Nettoeinkommen mit 2.602,33 DM, seine jährlichen Kapitalerträge mit 1.313 DM und seinen jährlichen Fahrtkostenersatz mit 6.306,30 DM angegeben.

Sein Vermögen bewertete er wie folgt:

Girokonten 40.110 DM 89.675 DM

Rückkaufswerte zweier Lebensversicherungen 13.933 DM 23.100 DM

Wertpapiere 33.825 DM

Gold und Schmuck 21.150 DM

Der Beklagte wohnt zur Miete. Hierfür zahlt er einschließlich Nebenkosten und Garage 364,55 Euro (713 DM). Sein Weg zum Arbeitsplatz beträgt 39 km. Seine weiteren Belastungen hat er auf Bl. 31 Rückseite der Akten dargestellt, worauf Bezug genommen wird.

Zum jetzigen Zeitpunkt gibt der Beklagte seinen Vermögensstand wie folgt an:

Girokonten 46.184,76 Euro Sparbücher 17.490,32 Euro Festgeld 11.927,36 Euro Investment Fonds 16.352,63 Euro Goldbarren 6.706,26 Euro Rückkaufswert einer Lebensversicherung 15.583,10 Euro Summe 114.244,43 Euro

Sein Pkw hat inzwischen eine Laufleistung von 215000 km und wird ersetzt.

Der Wert der früheren 2. Lebensversicherung ist jetzt als Festgeld vorhanden.

Die weitere Lebensversicherung ist mit dem 65. Lebensjahr des Beklagten zur Auszahlung fällig.

Der Beklagte hat wegen der Insolvenz seines bisherigen Arbeitgebers seit 1. November 2002 einen neuen Arbeitgeber und verdient monatlich 1.337,73 Euro netto. Der neue Arbeitgeber ist eine Einzelhandelsfirma, und zwar der Geschäftsführer der insolventen GmbH, bei der der Beklagte früher beschäftigt war.

Die Parteien sind sich darüber einig, dass der Beklagte aus seinem Einkommen nicht leistungsfähig ist.

Der Kläger war der Auffassung, vom Gesamtvermögen des Beklagten in Höhe von 221.793 DM zum Zeitpunkt der erstmaligen Inanspruchnahme auf Unterhalt seien nach § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung zu § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG und den Richtlinien des Bezirks Schwaben ein Betrag in Höhe von 90.000 DM und darüber hinaus ein weiterer Betrag in Höhe von 50 % des die Freigrenze übersteigenden Vermögens in Höhe von 65.896,50 DM anrechnungsfrei, sodass 65.896,50 DM (33.692,00 Euro) zur Deckung des Unterhaltsanspruchs einzusetzen seien.

Der Kläger hat deshalb im 1. Rechtszug beantragt,

den Beklagten zur Zahlung von 4.680,80 Euro nebst 5 % Zinsen über den jeweils aktuellen Basiszinssatz seit 24. September 2002 zu verurteilen.

Der ...

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