Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung der Kfz-Haftpflicht bei Bahnsuizid

 

Leitsatz (amtlich)

Der Versicherungsnehmer, der in Selbsttötungsabsicht einem mit hoher Geschwindigkeit herannahenden ICE-Zug entgegengeht, um sich von diesem überfahren zu lassen, handelt hinsichtlich der Schäden an dem Zug und der daraus resultierenden Folgeschäden vorsätzlich, wenn er trotz seiner psychischen Ausnahmesituation nach seinem Bildungsstand und seinen Kenntnissen von den Folgen eines derartigen Selbstmordes damit rechnen musste, dass solche Schadensfolgen zwangsläufig eintreten. Eine Haftung der Versicherung ist dann nach § 103 VVG ausgeschlossen.

 

Normenkette

StVO § 40 Abs. 6; VVG §§ 103, 152; ZPO § 97 Abs. 1, § 279 Abs. 3, § 286 Abs. 1 S. 1, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 543 Abs. 2 S. 1, § 708 Nr. 10, § 711

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 22.06.2018; Aktenzeichen 19 O 24068/15)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin vom 22.06.2018 gegen das Endurteil des LG München I vom 17.05.2018 (Az. 19 O 24068/15) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das vorgenannte Urteil des Landgerichts sowie dieses Urteil sind jeweils ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung ihres Triebwagens ICE - T 1741 nach einem Zusammenstoß mit dem bei der Beklagten versicherten Pkw Opel Corsa, amtl. Kennzeichen ...57 geltend.

Am 05.10.2012 kurz vor 7:30 Uhr befuhr der damalige Halter des vorbezeichneten Pkws und Versicherungsnehmer der Beklagten, Herr E.P., nachdem er zunächst mit dem Pkw sein Anwesen in D., Ortsteil B., verlassen hatte, die Straße zwischen Di. und D., welche die Bahnstrecke der DB-Netz AG, Nummer ...03, bei Bahnkilometer 37,8 kreuzt. Der dortige Bahnübergang war mit einer Halbschranke, Blinklicht und Andreaskreuz sowie Zeichen 156, 159 und 162 der Anlage 1 zu § 40 VI StVO ausgestattet.

Der Versicherungsnehmer der Beklagten umfuhr die geschlossene Halbschranke, kam auf den Gleisen zum Stillstand und wurde in seinem Pkw vom herannahenden ICE überrollt, mitgeschleift und getötet. Eine anlässlich der Sektion am 08.10.2012 entnommene Blutprobe (Bl. 123 d.A., Az. 203 UJS 22529/12 der Staatsanwaltschaft Dessau) ergab eine BAK im Mittel von 1,28 Promille. Herr P. war zum Unfallzeitpunkt mit Unterhemd und Jogginghose bekleidet. Im zerstörten Pkw wurden eine leere Bierflasche und eine leere Flasche (0,35 l) Pfefferminzlikör gefunden.

Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 17.05.2018 (Bl. 126/135 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen.

Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses der Klägerin am 22.05.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem beim Oberlandesgericht München am 22.06.2018 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 148 d.A.) und diese mit einem beim Oberlandesgericht München am 23.07.2018 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 154/172 d.A.) begründet.

Die Klägerin trägt insbesondere vor, es sei nicht von einem Suizid auszugehen. Es sei ein Defekt des Pkw oder ein Fahrfehler des Getöteten denkbar oder dieser habe vor dem Wochenende noch Alkohol besorgt und habe die geschlossene Halbschranke umfahren, weil er es einfach eilig gehabt habe nach Hause zu kommen, damit seine Frau von der Einkaufstour nichts mitbekommt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.095.348,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.03.2014 zu zahlen, sowie es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin von sämtlichen Ansprüchen der DB Netz AG gegen die Klägerin aus und im Zusammenhang mit dem Unfall am 05.10.2012 auf der Bahnstrecke Nummer ...03 bei Bahnkilometer 37,8 freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen Suizids.

Der Senat hat gem. Beweisanordnung vom 29.11.2018 (Bl. 173/175 d.A.) und Beweisbeschlüssen vom 30.11.2018 (Bl. 176/181 d.A.) und 11.03.2018 (Bl. 301 d.A.) Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen H., R. P. und G. P. P. sowie Erholung mündlicher Gutachten der Sachverständigen Dipl. Ing. (FH) R. und Prof. Dr. med. G. sowie Erholung eines schriftlichen psychologischen Gutachtens der Sachverständigen Dr. E. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 19.07.2019 (Bl. 223/242 d.A.), die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Dr. E. vom 14.10.2019 (Bl. 245/252 d.A. und 253/267 d.A.) und ...

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