Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsgefahr, Unfall, Unfallgeschehen, Berufung, Fahrzeug, Wiederbeschaffungswert, Mitverschulden, Fahrstreifenwechsel, Geschwindigkeit, Verschulden, Unfallhergang, Fahrspur, Haftungsverteilung, Pkw, von Amts wegen, unabwendbares Ereignis, bei Betrieb

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 30.09.2021; Aktenzeichen 19 O 6974/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten vom 15.10.2021 wird das Endurteil des LG München I vom 30.09.2021 (Az. 19 O 6974/20) in den Ziffern 1 - 2 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

I. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger samtverbindlich 4.902,34 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.02.2020 zu zahlen.

II. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger samtverbindlich weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 142,32 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.02.2020 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 80% und die Beklagten samtverbindlich 20%.

5. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

6. Die Revision wird nicht zugelassen.

7. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 23.954,81 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 544 II Nr. 1 ZPO).

B. I. 1. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache zumindest teilweise Erfolg.

Das Erstgericht ist im Rahmen der Abwägung der wechselseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile nach § 17 Abs. 1 StVG zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs aufgrund des groben Verschuldens des Beklagten zu 1) an dem Unfallgeschehen vom 19.08.2019 auf der Autobahn A2 in Richtung B. in ... B. in Ma. vollständig zurücktritt und den Beklagten insofern die Alleinhaftung zukommt.

Nach Auffassung des Senats kann der Kläger Schadensersatz gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG bzw. § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB bzw. gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG sowie § 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG von den Beklagten lediglich basierend auf einer Haftungsverteilung von 75:25 zu Lasten der Beklagtenseite verlangen.

a) Soweit die Beklagten allerdings die Beweisaufnahme des Erstgerichts als verfahrensfehlerhaft beanstanden, nachdem die Parteien nicht zum Unfallhergang angehört und der als Beweismittel angebotene Zeuge P. L. nicht vernommen wurde, ist das Folgende auszuführen:

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt eine Verletzung des aus Art. 103 Abs. 1 GG resultierenden Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die erstinstanzlich unterbliebene Anhörung der Parteien zum Unfallgeschehen nicht vor.

Die Berufungsbegründung erklärt nicht, weshalb hier die Anhörung der Parteien eine weitere Aufklärung des Unfallgeschehens hätte ermöglichen können (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 28. Juli 2016 - III ZB 127/15). Denn in der Berufungsbegründung haben die Beklagten nicht dargelegt, was sie inhaltlich - abweichend von ihrem schriftsätzlichen Vortrag - vorgetragen hätten, wenn das Erstgericht nicht - wie im streitgegenständlichen Fall mit der erforderlichen vorherigen Zustimmung beider Parteien - schriftlich entschieden hätte, sondern eine mündliche Verhandlung anberaumt und dann die unfallbeteiligten Parteien wie grundsätzlich von Amts wegen erforderlich gemäß §§ 139 Abs. 1 S. 2, 141 Abs. 1 S. 1 ZPO angehört hätte.

Die Entscheidungserheblichkeit der beanstandeten unterbliebenen Parteianhörung ergibt sich auch nicht unmittelbar und zweifelsfrei aus dem bisherigen Prozessstoff.

Aus dem erstinstanzlichen Urteil geht zum einen hervor, dass sich das Erstgericht mit dem wechselseitigen schriftsätzlichen Vortrag der Parteien auseinandergesetzt hat, wobei es auch grundsätzlich nicht verpflichtend ist, dass sich das Erstgericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befasst (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 17. September 2020 - 2 BvR 1605/16 -, Rn. 14, juris; BGHZ 3, 162 [175]; BGH NJW 1987, 1557 [1558]; Senat, Beschluss vom 25.11.2005 - 10 U 2378/05 und v. 23.10.2006 - 10 U 3590/06 KG zfs 2007, 202 [204]; VRS 112 [2007] 328 [330]; NZV 2009, 390, 391), erforderlich ist nur, dass sich aus den Gründen ergibt, dass eine sachgerechte Beurteilung i. S. v. § 286 I 1 ZPO überhaupt stattgefunden hat (BGH NJW 1994, 3295 [3297 zu § 287 ZPO: Es muss eine Begründung vorhanden sein, "die wenigstens in groben Zügen sichtbar macht, dass die beachtlichen Tatsachen berücksichtigt und vertretbar gewertet worden sind"]; Senat, a.a.O.; KG zfs 2007, 202 [204]). Zum anderen stand dem Erstgericht zur Verifizierung des wechselseitigen Parteivorbringens auch die Dash-Cam Aufzeichnung des Unfallhergangs aus dem Beklagtenfahrzeug zur Verf...

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