Leitsatz (amtlich)

Ergeht eine Übertragung auf den obligatorischen Einzelrichter vor Zustellung der Klageschrift und damit vor der notwendigen Anhörung der Gegenseite, führt dieser Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs nicht zwingend auch zu einem Entzug des gesetzlichen Richters mit der Folge, dass einem vom Einzelrichter erlassenen Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung abzusprechen wäre. Denn Gehörsverstöße können - anders als ein Entzug des gesetzlichen Richters - grundsätzlich geheilt werden.

 

Normenkette

GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, §§ 37, 277 Abs. 1 S. 2, §§ 281, 348a Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Aktenzeichen 22 O 3413/15)

LG Memmingen (Aktenzeichen 23 O 1217/15)

 

Tenor

Örtlich zuständig ist das LG Memmingen.

 

Gründe

I. Mit Klage vom 30.7.2014 zum LG Augsburg (Az. 22 O 2818/14) machte die Klägerin gegen zwei Gesellschaften mit Sitz im Bezirk des LG Memmingen Schadensersatzansprüche (u.a. Prospekthaftungsansprüche) im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an zwei geschlossenen Immobilienfonds (Forum Fonds 5 und Immo Max) geltend, und zwar gegen die Beklagte zu 1 als Rechtsnachfolgerin der Vertriebsgesellschaft und Initiatorin sowie der geschäftsführenden Gründungsgesellschafterin und gegen die ursprüngliche Beklagte zu 2 als Gründungsgesellschafterin und Treuhänderin eines der beiden Fonds. Die Klageschrift mitsamt Aufforderungen, Anordnungen, Hinweisen und Belehrungen nach §§ 276, 277 ZPO wurde zugleich mit dem am 11.8.2015 ergangenen Beschluss zur Übertragung auf die Einzelrichterin (§ 348a Abs. 1 ZPO) am 21.8.2014 zur Post gegeben. Die Klagezustellung erfolgte am 26.8.2015. Die ursprünglichen Beklagten erwiderten umfassend auf die Klage, ohne dabei auf die Einzelrichterübertragung einzugehen.

Mit am 21.5.2015 zugestellter Klageerweiterung begehrt die Klägerin vom hiesigen im Bezirk des LG Memmingen wohnhaften Beklagten als Gesamtschuldner neben den ursprünglichen Beklagten zu 1 und 2 ebenfalls Schadensersatz mit der Begründung, dieser sei sowohl Geschäftsführer der Beklagten zu 1 als auch zentrale Schlüsselfigur der Fondsgesellschaften; er hafte daher organschaftlich wie originär aus strafrechtlich begründeter Täterschaft persönlich für den geltend gemachten Verstoß gegen das Gesetz über das Kreditwesen (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 32 KWG).

Den ursprünglichen Beklagten zu 1 und 2 ist im Insolvenzeröffnungsverfahren hinsichtlich der von ihnen geführten Aktiv- und Passivprozesse ein Verfügungsverbot auferlegt und der vorläufige Insolvenzverwalter ermächtigt worden, Aktiv- und Passivprozesse der Schuldner zu führen (Beschlüsse des Insolvenzgerichts vom 20.1., 14. und 28.4.2015); deren Verfahren ist unterbrochen (§ 240 ZPO). Auf die Zuständigkeitsrüge des Beklagten zu 3 hat das LG Augsburg mit Beschluss vom 13.8.2015 das Verfahren gegen den Beklagten zu 3 abgetrennt und dieses (Az. 22 O 3413/15) auf entsprechenden Antrag der Klägerin an das örtlich zuständige LG Memmingen verwiesen. Eine Zuständigkeit des LG Augsburg ergebe sich insbesondere nicht aufgrund Sachzusammenhangs mit den Verfahren gegen die ursprünglichen Beklagten zu 1 und 2, weil bereits vor Rechtshängigkeit unterbrochen gewesen sei.

Das LG Memmingen hat mit seinem den Parteien bekanntgegebenen Beschluss vom 8.9.2015 (Az. 23 O 1217/15) die Übernahme des Verfahrens abgelehnt. Der Verweisungsbeschluss sei objektiv rechtswidrig, damit willkürlich und nicht wirksam. Er sei schon nicht vom zuständigen Richter erlassen. Außerdem sei er unter Versagung des rechtlichen Gehörs ergangen; der Beklagtenvertreter habe keine Gelegenheit zur Stellungnahme auf den Verweisungsantrag der Klägerin vom 12.8.2015 gehabt.

Beim LG Augsburg wurde dem Verfahren nach Aktenrückgabe bisher kein weiterer Fortgang gegeben.

Die Klägerin hat am 8.10.2015 beim Oberlandesgericht um gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit nachgesucht.

Die Parteien hatten vor dem Senat Gelegenheit zur Äußerung. Der Beklagte hält die örtliche Zuständigkeit des LG Memmingen für gegeben; insofern habe er zu Recht gerügt und sei eine erneute Anhörung durch das verweisende LG unterblieben.

II. Auf den zulässigen Antrag der Klägerin ist die (örtliche) Zuständigkeit des LG Memmingen zu bestimmen.

1. Das LG Augsburg hat sich mit dem auch für dieses grundsätzlich bindenden Beschluss vom 13.8.2015 (vgl. § 281 Abs. 2 ZPO; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. § 281 Rn. 16) für örtlich unzuständig erklärt, während das angegangene LG Memmingen mit dem den Parteien bekannt gegebenen Beschluss vom 8.9.2015 die Verfahrensübernahme abgelehnt und die Akten an das Ausgangsgericht zurückgeleitet hat. Dies genügt den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (st. Rechtspr.; etwa BGH NJW-RR 2013, 764 bei Rn. 5; BGHZ 102, 338/339; Zöller/Vollkommer § 36 Rn. 24/25).

2. Befugt, den grundsätzlich erforderlichen Antrag (vgl. § 37 Abs. 1 ZPO) zu stellen, ist stets der Kläger. Das gilt auch im Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (Hüsstege in...

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