Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindende Wirkung eines Verweisungsbeschlusses

 

Leitsatz (amtlich)

Die Verweisung des Rechtsstreits durch das örtlich unzuständige Gericht ist auch dann bindend, wenn der Beklagte erklärt hat, in der mündlichen Verhandlung die örtliche Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht rügen zu wollen, jedoch auf die Zuständigkeitsrüge nicht verzichtet hat.

 

Normenkette

ZPO § 281 Abs. 2 S. 4

 

Verfahrensgang

OLG Hamm (Entscheidung vom 07.10.2012; Aktenzeichen 32 SA 80/12)

 

Tenor

Zuständiges Gericht ist das LG Traunstein.

 

Gründe

Rz. 1

I. Die Klägerin hat die Beklagten neben zwei weiteren Parteien vor dem LG Dortmund wegen einer aus ihrer Sicht fehlgeschlagenen Beteiligung an einer Fondsgesellschaft als Gesamtschuldner auf Schadenersatz in Anspruch genommen.

Rz. 2

Mit Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens hat das LG Dortmund auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit für die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche hingewiesen. Die Klägerin hat daraufhin beantragt, das Verfahren gegen die Beklagten abzutrennen und den Rechtsstreit insoweit an das LG Traunstein zu verweisen. Die Beklagten haben erklärt, eine etwa erhobene Zuständigkeitsrüge nicht aufrechtzuerhalten. Das LG Dortmund hat das Verfahren gegen die Beklagten vom Ausgangsrechtsstreit abgetrennt, sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Traunstein verwiesen. Das LG Traunstein hat die Übernahme des Verfahrens abgelehnt.

Rz. 3

Das OLG Hamm hat die Sache gem. § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

Rz. 4

II. Die Vorlage ist zulässig. Gemäß § 36 Abs. 3 ZPO hat ein OLG, das nach § 36 Abs. 2 ZPO anstelle des BGH mit der Zuständigkeitsbestimmung befasst ist, die Sache dem BGH vorzulegen, wenn es in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen OLG oder des BGH abweichen will. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Das vorlegende OLG möchte seiner Entscheidung die Auffassung zugrunde legen, dass der Verweisungsbeschluss des LG Dortmund bindend und damit das LG Traunstein als zuständiges Gericht zu bestimmen ist. Damit würde es von der Rechtsauffassung abweichen, die das OLG Stuttgart einer Entscheidung (NJW-RR 2010, 792) zugrunde gelegt hat. Es hat die Verweisung durch ein örtlich unzuständiges Gericht wegen der Ankündigung des Beklagten, die fehlende örtliche Zuständigkeit nicht rügen zu wollen, als objektiv willkürlich und mithin nicht bindend angesehen.

Rz. 5

III. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Das LG Dortmund und das LG Traunstein haben sich im Sinne dieser Vorschrift bindend für unzuständig erklärt; das LG Dortmund durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO), das LG Traunstein durch eine seine Zuständigkeit abschließend verneinende Entscheidung vom 10.7.2012. Eine solche Zuständigkeitsleugnung genügt den Anforderungen, die an das Tatbestandsmerkmal "rechtskräftig" des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind (st.Rspr., BGH, Beschl. v. 22.2.1978 - IV ARZ 10/78, BGHZ 71, 15 [17]; Beschl. v. 10.12.1987 - I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [339]).

Rz. 6

IV. Zuständig zur Entscheidung über das Klagebegehren ist das LG Traunstein, da der Verweisungsbeschluss des LG Dortmund gem. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bindend ist.

Rz. 7

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH entfällt die Bindungswirkung der Verweisung nicht schon dann, wenn der Beschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist. Ein Verweisungsbeschluss ist vielmehr nur dann nicht bindend, wenn dem Beschluss jede rechtliche Grundlage fehlt, wenn er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht (BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498; Beschl. v. 10.9.2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634) oder wenn er sonst bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheint (BGH, Beschl. v. 9.7.2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498).

Rz. 8

2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe entfällt die bindende Wirkung des Verweisungsbeschlusses nicht deshalb, weil das LG Dortmund den Rechtsstreit vor der mündlichen Verhandlung an das LG Traunstein verwiesen hat, obwohl die Beklagten schriftsätzlich erklärt haben, eine etwa erhobene Rüge der örtlichen Unzuständigkeit nicht aufrechterhalten zu wollen und eine solche Rüge in den vorausgehenden Schriftsätzen auch nicht erhoben hatten.

Rz. 9

a) Es kann dahinstehen, ob diese Verfahrensweise des Gerichts rechtsfehlerhaft oder lediglich im Hinblick auf das offensichtliche Interesse der Parteien, zwei Rechtsstreitigkeiten vor unterschiedlichen Gerichten zu vermeiden, unzweckmäßig war. Denn auch auf Verfahrensfehler beruhende und damit rechtsfehlerhafte Verweisungsbeschlüsse sind grundsätzlich bindend, wenn wie im Streitfall den Parteien vor der Verweisung rechtliches Gehör gewährt worden ist. Die Erklärung der Beklagten, eine Zuständigkeitsrüge nicht aufrechterhalten zu wollen, hat das LG Dortmund auch zur Kenntnis genommen und sich hiermit auseinandergesetzt.

Rz. 10

b) Entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart wird bei einer solchen Prozesslage durch die Verweisung nicht willkürlich in eine mögliche zukünftige Rechtsposition des Beklagten eingegriffen, der angekündigt hat, die fehlende örtliche Zuständigkeit in der mündlichen Verhandlung nicht rügen zu wollen mit der Folge, dass damit die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges begründet würde (§ 39 Satz 1 ZPO). Abgesehen davon, dass der Beklagte an eine derartige Ankündigung nicht gebunden ist, so dass es ihm frei steht, die fehlende örtliche Zuständigkeit ungeachtet seiner Ankündigung vor der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache zu rügen, geht § 39 Satz 1 ZPO auf die Erwägung zurück, dass es nicht hinnehmbar wäre, wenn sich der Beklagte in Kenntnis der Unzuständigkeit auf eine Verhandlung vor dem an sich unzuständigen Gericht einlassen und in einem späteren Stadium des Prozesses noch die Rüge der Unzuständigkeit erheben könnte (BGH, Urt. v. 26.1.1979 - V ZR 75/76, NJW 1979, 1104 unter Bezugnahme auf die amtliche Begründung des Gesetzentwurfes des Bundesrats zur Änderung der ZPO vom 27.2.1973, BT-Drucks. 7/268 zu Art. 1 Nr. 3). Begibt sich der Kläger jedoch der Möglichkeit, die weitere Prozessführung vor dem zunächst angerufenen Gericht dadurch zu erreichen, dass der Beklagte ohne Zuständigkeitsrüge zur Sache verhandelt, indem er - wie im vorliegenden Fall - bereits vor der mündlichen Verhandlung die Verweisung an das zuständige Gericht beantragt, kann die darauf erfolgende Verweisung nicht als objektiv willkürlich angesehen werden.

Rz. 11

c) Einen - rechtlich grundsätzlich möglichen - Verzicht der Beklagten auf die Zuständigkeitsrüge musste das LG Dortmund deren Erklärungen nicht entnehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 3657548

HFR 2013, 847

NJW 2013, 8

EBE/BGH 2013

NJW-RR 2013, 764

JZ 2013, 323

MDR 2013, 481

NJ 2013, 6

RÜ 2013, 292

Mitt. 2014, 148

PAK 2013, 113

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