Leitsatz (amtlich)

Der ausschließliche Gerichtsstand für Schadensersatzklagen aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen gilt nicht bei Vermögensanlagen des ungeregelten sog. grauen Kapitalmarkts.

 

Normenkette

KapMuG § 1 Abs. 1; ZPO § 32b Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Aktenzeichen 4 O 787/06)

 

Tenor

Als für die Klagen gemeinsam zuständiges Gericht wird das LG München I bestimmt.

 

Gründe

I. Der Kläger trägt vor, er habe sich in den Jahren 2003 und 2004 jeweils auf Anraten der Beklagten zu 2) an zwei Medienfonds (im Folgenden: VIP 3 und VIP 4) beteiligt. Aus diesen Kapitalanlagen sei ihm ein Schaden entstanden, für den die Beklagte zu 2) als Vermittlerin und Vertreiberin der Kapitalanlagen wegen Verletzung von Informations- und Aufklärungspflichten und die Beklagten zu 1), 3) und 4) nach den Grundsätzen der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung sowie aus unerlaubter Handlung einzustehen hätten. Den Beklagten zu 1) nimmt der Kläger als Initiator beider Fonds und Prospektverantwortlichen in Anspruch, die Beklagten zu 3) und 4) als - nach seiner Auffassung - mitverantwortliche Banken für die Verkaufsprospekte VIP 3 (Beklagte zu 3) und VIP 4 (Beklagte zu 4), die Beklagte zu 4), die einen Teil der Beteiligung des Klägers an VIP 4 finanziert hat, zusätzlich wegen Überschreitung ihrer Kreditgeberrolle.

Der Kläger hat Klage zum LG Ingolstadt erhoben, in dessen Bezirk er wohnhaft ist und sich die Niederlassung der Beklagten zu 2) befindet, die ihm die Beteiligungen angeraten und vermittelt hat. Der Beklagte zu 1) ist in München in Untersuchungshaft. Die Beklagten zu 2) und 3) haben ihren Sitz in Frankfurt/M., die Beklagte zu 4) in München. Der Kläger ist der Auffassung, dass das LG Ingolstadt für die Beklagte zu 2) nach § 21 ZPO und für die übrigen Beklagten nach § 32 ZPO zuständig ist, hat aber, da die örtliche Zuständigkeit gerügt wurde, die Bestimmung eines gemeinsam zuständigen Gerichts beantragt.

II.1. Die Voraussetzungen der Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZPO durch das OLG München liegen vor. Das vormals beim BayObLG anhängige Bestimmungsverfahren ist kraft Gesetzes auf das jetzt zuständige OLG München übergegangen (Art. 55 Abs. 7 S. 1 AGGVG). Die Beklagten werden als Streitgenossen (§§ 59, 60 ZPO) in Anspruch genommen. Ein gemeinsamer besonderer oder ausschließlicher Gerichtsstand, der die Bestimmung ausschlösse, besteht nicht.

a) Der ausschließliche Gerichtsstand für bestimmte Klagen aufgrund falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen (§ 32b ZPO) - für Bayern konzentriert beim LG München I (§ 24a GZVJu) - greift nicht ein. Dieser durch das Gesetz zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren mit Wirkung ab 1.11.2005 geschaffene Gerichtsstand gilt, wie sich aus dem Regelungszusammenhang mit § 1 KapMuG und der Entstehungsgeschichte beider Normen ergibt, nicht für den unreglementierten sog. "grauen Kapitalmarkt". Die hier den Klageansprüchen zugrunde liegenden Beteiligungen des Klägers im Jahr 2003 an VIP 3 und im Jahr 2004 an VIP 4 sind aber solche des damals noch nicht geregelten grauen Kapitalmarkts.

Allerdings ist der Begriff der "öffentlichen Kapitalmarktinformation" in § 1 Abs. 1 S. 3 KapMuG grundsätzlich offen definiert. Die in S. 4 enthaltene Aufzählung der hierunter "insb." fallenden Angaben betrifft jedoch ausschließlich den Wertpapier- und sonstigen geregelten Kapitalmarkt. Der Grund hierfür erhellt sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung war auf Kapitalanlagen in Wertpapieren beschränkt (BT-Drucks. 15/5091). Die Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 1 KapMuG und des § 32b ZPO auf "Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen" geht auf die Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages zurück (BT-Drucks. 15/5695). Maßgeblich für diese Empfehlung war die Erwägung, dass durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz vom 28.10.2004 (BGBl. I, 2630) auch andere Vermögensanlagen prospektpflichtig geworden waren (BT-Drucks. 15/5695, 23). Das Anlegerschutzverbesserungsgesetz hat weite Bereiche des bisherigen grauen Kapitalmarkts in den reglementierten Markt überführt, d.h. der Prospektpflicht unterworfen, Anforderungen an den Inhalt aufgestellt und die Haftung bei fehlerhaftem und bei fehlendem Prospekt spezialgesetzlich geregelt (vgl. §§ 8 f., 8g, 13, 13a VerkaufsprospektG in der seit 1.7.2005 geltenden Fassung). Die Einbeziehung derartiger Ansprüche nach dem Verkaufsprospektgesetz in den Anwendungsbereich des § 1 KapMuG sowie in die Zuständigkeitsnorm des § 32b ZPO, die insoweit die bisherige Zuständigkeitskonzentration am Sitz der Börse oder der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ersetzt (vgl. § 13 Abs. 2 VerkaufsprospektG in der bis 31.10.2005 geltenden Fassung) erscheint ohne Weiteres plausibel und folgerichtig.

Nichts deutet hingegen darauf hin, dass damit auch diejenigen Kapitalanlagen erfasst werden sollten, die nach wie v...

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