Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG. Ein Arbeitnehmer hat bei Geltendmachung einer sozial ungerechtfertigten Kündigung ein Recht auf Einsicht in die Insolvenakten. Voraussetzungen für das Recht eines gekündigten Arbeitnehmers auf Einsicht in die Insolvenzakten

 

Leitsatz (redaktionell)

Behauptet ein Arbeitnehmer in einem Verfahren vor den Arbeitsgerichten, eine vom Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei sozial nicht gerechtfertigt, so steht ihm ein Recht auf Einsicht in die Insolvenzakten zu.

 

Normenkette

ZPO § 299 Abs. 1-2; EGGVG §§ 23 ff.

 

Verfahrensgang

AG München (Beschluss vom 26.07.2010; Aktenzeichen 1507 IN 2731/09)

 

Tenor

I. Der Beschluss des Amtsgerichts München – Insolvenzgericht – vom 26.7.2010 im Verfahren 1507 IN 2731/09 wird aufgehoben.

II. Das Amtsgericht – Insolvenzgericht – München wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu bescheiden.

III. Außergerichtliche Kosten des Antragstellers sind nicht aus der Staatskasse zu erstatten.

 

Tatbestand

I. Über das Vermögen der E.-AG wurde am 1.11.2009 vom Amtsgericht München im Verfahren 1507 IN 2731/09 das Insolvenzverfahren eröffnet. Dieses Verfahren ist noch nicht beendet.

Beim Arbeitsgericht München ist unter dem 12 Ca 18643/09 ein Kündigungsschutzverfahren des Antragstellers gegen den Insolvenzverwalter und die E. Deutschland GmbH anhängig, in dem u.a. auch Ansprüche auf Sozialplanabfindung geltend gemacht werden.

Mit Schriftsatz vom 29.4.2010 beantragte der Antragsteller Einsicht in die Akten 1507 IN 2731/09 des Amtsgerichts München. Er vertrat die Ansicht, als Gläubiger sowohl ein Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO, als auch nach § 299 Abs. 2 ZPO zu haben.

Der Insolvenzverwalter trat mit Schriftsatz vom 6.5.2010 dem Akteneinsichtsgesuch entgegen.

Mit Beschluss vom 24.6.2010 wurde das auf § 299 Abs. 1 ZPO gestützte Akteneinsichtsgesuch vom Amtsgericht München zurückgewiesen. Die dagegen vom Antragsteller eingelegte sofortige Beschwerde wurde mit Beschluss des Landgerichts München I vom 27.10.2010 (– 14 T 15133/10 –) zurückgewiesen.

Mit Beschluss vom 26.7.2010, zugestellt am 16.8.2010, wies das Amtsgericht München auch das auf § 299 Abs. 2 ZPO gestützte Akteneinsichtsgesuch zurück. Dagegen beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 30.8.2010, eingegangen am selben Tag, die gerichtliche Entscheidung über die Rechtsmäßigkeit des Beschlusses vom 26.7.2010.

Der Generalstaatsanwalt als Vertreter des Antragsgegners beantragte mit Schreiben vom 8.12.2010, den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen.

Zu diesem Antrag nahm der Antragsteller mit Schriftsatz vom 17.1.2011 abschließend Stellung.

 

Entscheidungsgründe

II. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäߧ§ 23 ff. EGGVG statthaft und zulässig. Die Ablehnung der Akteneinsicht für Dritte stellt einen Justizverwaltungsakt dar (vgl. Zöller/Lückemann, ZPO, 28. Aufl., § 23 EGGVG Rdn. 12; Prütting/Gehrlein/Schmidt, ZPO, 2. Aufl., § 23 EGGVG Rdn. 11). Der Antrag wurde innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG gestellt.

III. Der Antrag ist begründet.

§ 299 ZPO i.V.m. § 4 InsO regelt das Akteneinsichtsrecht für zwei verschiedene Personengruppen, soweit nicht die InsO eigene Regelungen enthält.

Zum einen haben die am Insolvenzverfahren Beteiligten ein grundsätzliches Akteneinsichtsrecht nach § 299 Abs. 1 ZPO, sobald das Insolvenzverfahren eröffnet und noch nicht beendet ist. Beteiligte am eröffneten Insolvenzverfahren sind die Insolvenzgläubiger (§ 38 InsO). Der Antragsteller gehört nicht zu diesem Personenkreis, da er den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses behauptet und Gehaltsansprüche, die im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden, den Zeitraum nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen. Die ebenfalls im Klageweg erhobenen Ansprüche auf Erteilung bzw. Abänderung von Arbeitszeugnissen stellen keine Vermögensansprüche i.S. des § 38 InsO dar.

Damit ist der Antragsteller „Dritter” i.S. des § 299 Abs. 2 ZPO. Im Gegensatz zur Regelung des Abs. 1 verlangt der Abs. 2 die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht.

Voraussetzung dafür ist ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch Rechtsnormen geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Ein Individualinteresse liegt vor, wo irgendwelche persönlichen Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden können, sofern ein rechtlicher Bezug zu dem Streitstoff der einzusehenden Akten besteht (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 299 Rdn. 6a; Prütting/Gehrlein/Deppenkemper, ZPO, 2. Aufl., § 299 Rdn. 8).

Liegt ein rechtliches Interesse vor, ist bei der Entscheidung nach § 299 Abs. 2 ZPO dieses Interesse des Dritten an der Akteneinsicht mit dem Geheimhaltungsinteresse der Insolvenzgläubiger und des Insolvenzverwalters abzuwägen (vgl. OLG Köln, OLG-Report 1999, 306; OLG Düsseldorf, OLG-Report 2000, 109).

Der Ant...

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