Entscheidungsstichwort (Thema)

Wann Ablehnungsgesuche wegen Verschleppungsabsicht als rechtsmissbräuchlich sind

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage, wann Ablehnungsgesuche wegen Verschleppungsabsicht als rechtsmissbräuchlich anzusehen und damit unzulässig sind (hier: wiederholte Ablehnungsgesuche, insbesondere in der Form von Kettenablehnungen, kombiniert mit Rechtsbehelfen gegen Zwischenentscheidungen und anschließende Einlegung von nicht förmlichen Rechtsbehelfen).

2. Das Gericht entscheidet über unzulässige Ablehnungsgesuche unter Mitwirkung der abgelehnten Richter. Hierbei verstößt eine rein formale Prüfung in Form der Darstellung eines über Jahre praktizierten Verhaltensmusters eines Verfahrensbeteiligten nicht gegen Artikel 101 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz, da mit ihr keine Bewertung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters einhergeht.

3. In Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Kindesherausgabe betreffen, sind Ablehnungsgesuchen, die als taktisches Mittel für verfahrensfremde Zwecke dienen, besonders kritisch im Hinblick auf das Beschleunigungspostulat nach § 155 Abs. 1 FamFG zu beurteilen.

4. Wiederholte und damit wegen Verfahrensverschleppung unzulässige Ablehnungsanträge verletzen den Justizgewährungsanspruch des Antragstellers als individuelles Grundrecht, der aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG herzuleiten ist.

 

Normenkette

FamFG §§ 6, 54 Abs. 2, § 155 Abs. 1; ZPO §§ 42, 44-45, 47

 

Tenor

Die Ablehnungsgesuche der Antragsgegnerin in den Verfahren

  • 33 WF 1573/16 und 33 WF 1635/16 vom 03.11.2016 und 20.03.2017
  • 33 WF 1574/16 und 33 WF 1636/16 vom 03.11.2016 und 20.03.2017
  • 33 WF 1575/16, 33 WF 1638/16 und 33 WF 1782/15 vom 03.11.2016, 04.11.2016 und 20.03.2017
  • 33 WF 1576/16 und 33 WF 1639/16 vom 03.11.2016 und 20.03.2017
  • 33 WF 238/17 vom 22.2.2017 und 22.3.2017

werden als unzulässig verworfen.

 

Gründe

I. Dem Senat liegen folgende Sachverhalte zur Entscheidung vor:

1. Im Verfahren 564 F 2862/11 = 33 WF 1573/16 und 33 WF 1635/16 beantragte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 8.3.2011 das Umgangsrecht für die gemeinsame Tochter der Beteiligten R. zu regeln; die Antragsgegnerin beantragte, diesen Antrag zurückzuweisen und das Umgangsrecht auszuschließen.

Mit Beschluss des AG München vom 7.4.2011 (Blatt 58) wurde das Verfahren 553 F 1795/11 hinzuverbunden.

Nach dem Termin vom 30.6.2011 (Blatt 107/107) erließ das AG am 1.7.2011 einen Beweisbeschluss und beauftragte einen Gutachter für die Frage der Ausgestaltung des Umgangsrechts bzw. eines Ausschlusses.

Am 19.8.2011 lehnte die Antragsgegnerin den bestellten Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab (Blatt 130/133).

Am 30.9.2011 wies das AG München diesen Antrag zurück (Blatt 169/171). Im Verfahren 553 F 9827/11 erließ das AG am 4.10.2011 eine einstweilige Anordnung Umgangsrecht, bei der es begleitete Umgangskontakte und eine Umgangspflegschaft festlegte (Blatt 173/178).

Am 7.10.2011 ordnete das AG durch weiteren Beschluss die Erholung eines entwicklungspsychologischen Gutachtens für das Kind an (Blatt 181/183).

Am 11.10.2011 lehnte die Antragsgegnerin Richterin am AG H. wegen Besorgnis der Befangenheit ab (Blatt 184/194).

Am 20.10.2011 erhob die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde gegen den Beschluss vom 30.9.2011, die beim Oberlandesgericht das Aktenzeichen 33 WF 1960/11 führte (Blatt 198/201). Diese Beschwerde begründete sie mit weiterem Schriftsatz vom 20.10.2011 (Bl. 202/213).

Mit Beschluss des AG München vom 27.10.2011 wies Richterin am AG Dr. R. den Befangenheitsantrag vom 11.10.2011 zurück (Blatt 241/244).

Hiergegen wandte sich die Antragsgegnerin mit der sofortigen Beschwerde vom 14.11.2011, die beim Oberlandesgericht unter dem Aktenzeichen 33 WF 2072/11 geführt wurde (Blatt 260/282).

Am 15.11.2011 lehnte die Antragsgegnerin erneut Richterin am AG H. als befangen ab (Blatt 283/305).

Durch Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 23.11.2011 wurde die Beschwerde vom 30.9.2011 zurückgewiesen (Blatt 317/321).

Am 16.1.2012 erhob die Antragsgegnerin hiergegen Anhörungsrüge und Gegenvorstellung (Blatt 351/357).

Diese wurden durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 20.2.2012 verworfen bzw. zurückgewiesen (Blatt 368/371).

Am 21.2.2012 lehnte die Antragsgegnerin die zwischenzeitlich vom AG bestellten weiteren Gutachter wegen Besorgnis der Befangenheit ab (Blatt 373/389).

Am 7.5.2012 wies das AG München durch Richter am AG Z. die Befangenheitsanträge vom 21.2.2012 zurück (Blatt 471/475).

Am 8.5.2012 führte das AG eine Kindesanhörung und am 10.5.2012 einen Erörterungstermin mit den übrigen Beteiligten durch (Blatt 477/482). Daraufhin änderte es im Verfahren 564 F 9827/11 die bestehende Umgangsregelung vom 4.10.2011 und beschloss durch einstweilige Anordnung begleitete Umgangskontakte und eine Umgangspflegschaft (Blatt 483/486).

Am 10.5.2012 erhob die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des AG vom 7.5.2012, die beim Oberlandesgericht unter dem Aktenzeichen 33 WF 965/12 geführt wu...

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