Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine nachträgliche Abänderung von Eignungsnachweisen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Frage, unter welchen Umständen sich eine Vergabestelle nicht auf den Zugang einer Absage - Email berufen kann.

2. Gibt ein Einzelunternehmen ein Angebot ab, ist es nicht ohne weiteres zulässig, sich für einen geforderten Mindestumsatz in den letzten drei Geschäftsjahren auf Umsätze dritter Unternehmen zu berufen.

3. Eine Abänderung einmal eingereichter Eignungsnachweise ist in der Regel nicht zulässig.

 

Normenkette

BGB §§ 130, 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1; GWB § 107 Abs. 3 S. 1 Nrn. 1, 4; VOB/A § 6 Abs. 2a, § 6a Abs. 10, §§ 15, 16 Abs. 1 Nr. 3

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 04.01.2012)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 4.1.2012 aufgehoben.

II. Die Antragsgegnerin wird angewiesen, bei fortbestehender Vergabeabsicht die Wertung der Angebote unter Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zu wiederholen.

III. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 GWB trägt die Antragstellerin 1/5 einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen von den Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 GWB gesamtschuldnerisch 4/5. Von den notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je 2/5; im Übrigen tragen die Verfahrensbeteiligten ihre Aufwendungen selbst.

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für die Antragstellerin, die Antragsgegnerin und die Beigeladene für notwendig erklärt.

V. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 350.646,95 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Autobahndirektion S. (im Folgenden: Vergabestelle) schrieb europaweit am 2.5.2011 die Altlastensanierung + Tiefendrainage O. Nord im Rahmen des Baus der B 2 neu im Offenen Verfahren nach VOB/A aus. Zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit war in der europaweiten Bekanntmachung ein Mindestumsatz der letzten drei Jahre ≫ 10 Mio. EUR und für die technische Leistungsfähigkeit mindestens ein Rückbau einer Hausmülldeponie in den letzten fünf Jahren verlangt. Einziges Zuschlagskriterium ist der niedrigste Preis. Im Aufforderungsschreiben zur Abgabe eines Angebots werden unter Ziff. 4.2 weitere Nachweise zur Qualifikation und Unterlagen gemäß Baubeschreibung Pkt. 5.2 und Pkt. 4.2 gefordert, welche auf Verlangen der Vergabestelle innerhalb von sechs Kalendertagen vorzulegen sind. Hierbei handelt es sich u.a. um ein Zertifikat für das Qualitätsmanagementsystem ISO 9001:2008, eine Mindestbeschäftigtenanzahl für die letzten drei Jahre von 40 Mitarbeitern je Jahr und wiederum den Mindestumsatz der letzten drei Jahre von über 10 Mio EUR. Im LV heißt es unter 5.2 Eignungsnachweise:

"vom Bieter sind binnen sechs Kalendertagen ab Aufforderung folgende Nachweise zu bringen:

...

Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001:2008

Mindestumsatz EUR/a der letzten drei Jahre je Jahr: 10 Mio. EUR

Mindestbeschäftigte der letzten drei Jahre je Jahr: 40"

Bei der Submission lagen fünf Angebote vor. Nach rechnerischer Prüfung lag die Antragstellerin an zweiter und die Beigeladene an erster Stelle. Die Beigeladene hatte in ihrem Angebot für die letzten drei Jahre jeweils einen Mindestumsatz von unter 10 Mio EUR angegeben und hinzugefügt, dass von diesen Beträgen zwischen über 80 % bzw. über 90 % auf eigener Leistung beruhen. Mit Fax vom 5.7.2011 bat die Vergabestelle die Beigeladene, "die auf der folgenden Seite angefragten Unterlagen" bis 12.7.2011 nachzuliefern. Beigefügt war ein Blatt, auf welchem die Eignungsnachweise gemäß Leistungsbeschreibung aufgeführt waren, darunter auch der Mindestumsatz EUR/a mit der Bemerkung "nein"; bei anderen Nachweisen war "Angabe fehlt" oder "fehlt" vermerkt. Daraufhin teilte die Beigeladene am 11.7.2011 u.a. auch zum Mindestumsatz mit, dass die von ihr genannten Umsatzzahlen der letzten drei Jahre sich allein auf die Beigeladene bezögen. Da bei Projekten dieser Größenordnung firmenübergreifend auf die Kapazitäten der H. Gruppe zurückgegriffen werde, würden nun die Umsatzzahlen für die gesamte H. Gruppe benannt sowie die Mitarbeiter der gesamten H.-Gruppe. Diese Zahlen lagen über den geforderten Beträgen.

Nach einem Vergabegespräch am 14.7.2011 reichte die Beigeladene eine "Bestätigung der Gruppenzugehörigkeit mit Zugriff auf Personal und Gerät" sowie eine Bestätigung der Zertifizierungsstelle Fa. ZER-QMS nach. In einem Schreiben vom 15.7.2011 bestätigt die Gebr. H. Gesellschaft für Versorgungs- und Geotechnik mbH als Muttergesellschaft aller Firmen der Gebr. H.-Gruppe, dass die Antragstellerin eine fast 100%ige Tochter der H. Gruppe ist...

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