Leitsatz (amtlich)

1. Die gerichtliche Ermächtigung einer Aktionärsminderheit zur Einberufung einer Hauptversammlung nach § 122 Abs. 3 AktG ist weder durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch durch die Regelung zur Eigenverwaltung in § 276a InsO noch durch die Einleitung eines Insolvenzplanverfahrens ausgeschlossen.

2. Die Zuständigkeit der Hauptversammlung bleibt für Angelegenheiten des masseneutralen insolvenzfreien Bereichs grundsätzlich auch in der Insolvenz bestehen. Grundsätzlich taugliche Gegenstände einer Einberufungsermächtigung sind daher die Abberufung und die Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern, der Vertrauensentzug gegenüber dem Vorstand, Satzungsänderungen über Abstimmungsmehrheiten, eine Kapitalerhöhung (außerhalb des Insolvenzplans) sowie gewisse Sonderprüfungen.

3. Soweit die Hauptversammlung für Angelegenheiten in der Insolvenz zuständig bleibt, stehen einer Ermächtigung nach § 122 Abs. 3 AktG etwaige Kosten einer Hauptversammlung, etwaige Kosten einer künftigen Umsetzung einer beantragten Beschlussfassung oder ein etwaiges Zustimmungserfordernis für eine künftige Umsetzung eines gefassten Beschlusses nicht entgegen. Der Anspruch auf Ermächtigung zur Einberufung nach § 122 Abs. 3 AktG ist grundsätzlich unabhängig von der Frage, wer diese Kosten zu tragen hat und welcher Zustimmungen es ggfs. für die Umsetzung eines Beschlusses bedarf.

 

Normenkette

AktG § 122; InsO §§ 225a, 276a

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen HRB 226715 (Fall 6) (Fall 11))

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 19.03.2018, Az. HRB 226715 (Fall 6 und Fall 11), wird zurückgewiesen.

2. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 19.03.2018, Az. HRB 226715 (Fall 6 und Fall 11), im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als er den Antrag zurückweist.

Die Antragsteller werden - über die im Beschluss vom 19.03.2018 durch das Amtsgericht erteilte Ermächtigung hinaus - ermächtigt, eine Hauptversammlung mit folgenden Tagesordnungspunkten einzuberufen:

  • Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen des Investorenprozesses im Rahmen der finanziellen Restrukturierung der Gesellschaft
  • Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen hinsichtlich der Vergütung des Vorstands
  • Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen hinsichtlich der Rolle des damaligen Aufsichtsrats im Zusammenhang mit den Themen der Vergleichsvereinbarung mit ehemaligen Mitgliedern des Vorstands
  • Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen hinsichtlich der Einhaltung der organschaftlichen Pflichten des Vorstands hinsichtlich der Veröffentlichung der Einigung der Konsortialbanken mit dem Finanzinvestor
  • Beschlussfassung über den Vertrauensentzug gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden Dr. .......
  • Beschlussfassung über die Erhöhung des Grundkapitals gegen Bareinlagen mit Bezugsrecht der Aktionäre sowie damit verbundene Satzungsänderung.

3. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten beider Rechtszüge. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet.

4. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird für die Hauptsache auf 60.000 EUR und für die einstweilige Anordnung auf 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Ermächtigung der Antragsteller nach § 122 AktG, eine Hauptversammlung zu bestimmten Tagesordnungspunkten einzuberufen.

Die Antragsteller verfügen als Gesellschafter der Antragsgegnerin, einer Aktiengesellschaft, gemeinsam über mindestens 5 % des Grundkapitals. Über das Vermögen der Antragsgegnerin ist seit 1.12.2017 das Insolvenzverfahren mit Anordnung von Eigenverwaltung eröffnet.

Eine ordentliche Hauptversammlung hat für das Geschäftsjahr 2016 nicht mehr stattgefunden. Die vom Vorstand für den 31.8.2017, den 10.10.2017 und den 6.12.2017 einberufenen Hauptversammlungen hat er jeweils wieder abgesetzt.

Nachdem der Vorstand auf ein Verlangen der Antragsteller vom 20.09.2017 (Anlage KS&P 9), eine Hauptversammlung mit den dort aufgelisteten Tagesordnungspunkten einzuberufen, nicht reagiert hatte, haben die Antragsteller mit Antrag vom 4.10.2017 beantragt, gem. § 122 Abs. 3 S. 1 AktG ermächtigt zu werden, eine Hauptversammlung der Gesellschaft mit den folgenden Tagesordnungspunkten einzuberufen:

  • TOP 1 : Beschlussfassung über die Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern gemäß § 103 Abs. 1 AktG
  • TOP 2: Beschlussfassung über die Nachwahl eines Aufsichtsratsmitgliedes
  • TOP 3: Beschlussfassung über die Verkleinerung des Aufsichtsrats und Änderung von § 7 Abs. 1 der Satzung
  • TOP 4: Beschlussfassung über die Änderung der Satzung hinsichtlich Mehrheitserfordernissen bezüglich Beschlüssen der Hauptversammlung (§§ 7 Abs. 4, 17 Abs. 4 der Satzung)
  • TOP 5: Beschlussfassung über die Bestellung eines Sonderprüfers zu den Vorgängen des Investorenprozesses im Rahmen der finanziellen Restrukturierung der Gesellschaft
  • TOP 6: Beschlussfa...

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