Leitsatz (amtlich)

Eine entsprechende Anwendung von § 71 Abs. 3 GmbHG auf Jahresabschlüsse, die Zeiträume vor Auflösung der Gesellschaft oder vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen, scheidet aus. Eine Regelungslücke, die eine entsprechende Anwendung rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Ferner stehen die Vorschriften der 4. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie einer Ausdehnung der Befreiung von der Prüfungspflicht entgegen. Jahresabschlüsse von mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften, die Geschäftsjahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen, unterliegen ohne Befreiungsmöglichkeit der Prüfungspflicht nach § 316 HGB.

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Beschluss vom 16.06.2005; Aktenzeichen 1 HK T 1940/05)

 

Tenor

I. Die sofortige weitere Beschwerde des weiteren Beteiligten gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 16. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

II. Der Geschäftswert für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Über das Vermögen der beteiligten Gesellschaft ist durch Beschluss des Amtsgerichts N. vom 1.10.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Insolvenzverwalter ist der weitere Beteiligte. Die Gesellschaft hat ein vom Kalenderjahr abweichendes Geschäftsjahr. Es läuft vom 1.10. bis 30.9 eines Jahres. Mit Schriftsatz vom 9.3.2005 reichte der Insolvenzverwalter den Jahresabschluss der Gesellschaft zum 30.9.2003 nebst Anhang und Lagebericht beim Registergericht ein. Er teilte mit, dass der Geschäftsbetrieb mit Insolvenzantragstellung am 4.8.2003 zum Erliegen gekommen sei. Er beantragte die Befreiung von der Prüfungspflicht des Jahresabschlusses und des Lageberichts zum 30.9.2003 nach § 71 Abs. 3 GmbHG. Das Amtsgericht A. wies den Antrag mit Beschluss vom 20.4.2005 zurück. Hiergegen legte der Insolvenzverwalter sofortige Beschwerde ein. Diese hat das Landgericht mit Beschluss vom 16.6.2005 zurückgewiesen. Der Insolvenzverwalter verfolgt mit der sofortigen weiteren Beschwerde gegen den landgerichtlichen Beschluss das Befreiungsbegehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Jahresabschluss zum 30.9.2003 umfasse ein vollständiges Geschäftsjahr. Die Prüfungspflicht des Jahresabschlusses ergebe sich aus § 316 HGB, da die beteiligte Gesellschaft eine mittelgroße Kapitalgesellschaft sei. Die vom Insolvenzverwalter herangezogene Vorschrift des § 71 Abs. 3 GmbHG befasse sich mit Erleichterungen nach der Auflösung der Gesellschaft. Der Jahresabschluss und der Lagebericht zum 30.9.2003 beziehe sich jedoch auf eine Zeit vor Auflösung der Gesellschaft am 1.10.2003. Deshalb sei die Befreiungsvorschrift nicht anwendbar. Die Voraussetzungen des § 71 Abs. 3 GmbHG lägen im Zeitraum vom 1.10.2002 bis 30.9.2003 nicht vor. Eine analoge Anwendung sei nicht gerechtfertigt, da eine gesetzliche Regelungslücke nicht bestehe.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

Zu Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass eine Befreiung von der Prüfungspflicht nach § 316 HGB für Jahresabschlüsse ausgeschlossen ist, die Geschäftsjahre vor der Auflösung der Gesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen. Für eine entsprechende Anwendung von § 71 Abs. 3 GmbHG besteht aus mehreren Gründen kein Raum.

a) Es erscheint schon zweifelhaft, ob § 71 Abs. 3 GmbHG im Insolvenzverfahren Anwendung finden kann. Denn § 155 Abs. 1 Satz 1 InsO bestimmt ausdrücklich, dass handels- und steuerrechtliche Pflichten des Schuldners zur Buchführung und zur Rechnungslegung unberührt bleiben. Eine planwidrige Regelungslücke, die Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung von § 71 Abs. 3 GmbHG wäre, ist nicht ersichtlich (vgl. Baumbach/Schulze-Osterloh GmbHG 17. Aufl. § 64 Rn. 62; Michalski GmbHG § 71 Rn. 2; Roth/Altmeppen GmbHG 5. Aufl. § 71 Rn. 2). Die Rechnungslegungspflichten für die Zeiträume vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat nach § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO der Insolvenzverwalter zu erfüllen (vgl. MünchKommInsO-Füchsl/Weißhäupl § 155 Rn. 4). Jahresabschlüsse und Lageberichte mittelgroßer und großer Kapitalgesellschaften, die Zeiträume vor der Insolvenzeröffnung umfassen, unterliegen ohne Einschränkungen der Abschlussprüfung (Baumbach/Schulze-Osterloh aaO).

Die hiervon abweichenden untergerichtlichen Entscheidungen beruhen entweder auf dem Rechtszustand vor dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 (vgl. LG Oldenburg Rpfleger 1993, 451; LG Dresden ZIP 1995, 233) oder fußen allein auf reinen Praktikabilitätserwägungen, die so nicht Maßstab systematischer Rechtsanwendung sein können (vgl. AG München ZIP 2004, 2110).

b) Selbst wenn man entgegen dem eindeutigen gesetzlichen Wortlaut von § 155 Abs. 1 InsO eine entsprechende Anwendung von § 71 Abs. 3 GmbHG auf insolvenzrechtliche Sachverhalte bejahen wollte, würde hier die entsprechende Anwendung der Vorschrift...

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