Leitsatz (amtlich)

1. Die mangelnde Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrags kann für sich genommen, ohne dass ein besonderes Beschleunigungsinteresse des Auftraggebers hinzutritt, die vorzeitige Gestattung des Zuschlags gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht rechtfertigen.

2. Unabhängig vom Ausgang des Nachprüfungsverfahrens hat der unterlegene Auftraggeber die Kosten des Verfahrens nach § 115 Abs. 2 Satz 5 GWB analog zu § 96 ZPO zu tragen.

 

Normenkette

GWB § 115 Abs. 2; ZPO § 96

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Südbayern (Entscheidung vom 29.07.2010; Aktenzeichen Z3-3-3194-1-39-06/10)

 

Tenor

  • I.

    Auf den Antrag der Antragstellerin hin wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 29.07.2010 aufgehoben.

  • II.

    Das Zuschlagsverbot nach § 115 Abs. 1 GWB wird wiederhergestellt.

  • III.

    Die Kosten des Antragsverfahrens nach § 115 Abs. 2 Satz 5 GWB vor dem Vergabesenat trägt die Antragsgegnerin einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre notwendigen Auslagen selbst.

  • IV.

    Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 161.685,00 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin beabsichtigt die Vergabe des Auftrages zur Herstellung und Errichtung von Betonschutzwänden im Mittelstreifen des Neubauvorhabens B 15 R-L-R und hat dies in einer EU-weiten Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften am 23.03.2010 bekannt gemacht.

Die vorgenannte Schutzeinrichtung wurde in Fertigbauweise ausgeschrieben. Die Fertigung der Schutzeinrichtung aus Stahl sowie Ortbeton ist in Form von Nebenangeboten zugelassen.

Mit Ergänzungsschreiben vom 23.04.2010 hat die Vergabestelle mitgeteilt, dass auch ein Nebenangebot ohne Hauptangebot zulässig ist.

Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt. Wertungskriterien sind mit 80 % der Preis und 20 % der technische Wert des Angebots. Für das Kriterium technischer Wert sind in der Ausschreibung Unterpunkte definiert.

Unter insgesamt 18 Unternehmen bewarben sich auch die Antragstellerin und die Beigeladene um den Auftrag.

Mit Schreiben vom 01.06.2010 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin, nachdem ein vorhergehendes Informationsschreiben vom 07.05.2010 von der Antragsgegnerin wieder zurückgezogen worden war, mit, dass weiterhin beabsichtigt sei, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.

Daraufhin hat die Antragstellerin, nachdem die Vergabestelle ihrer hiergegen erhobenen Rüge nicht abgeholfen hat, Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer Südbayern gestellt.

Mit Verfügung des stellvertretenden Vorsitzenden der Vergabekammer Südbayern vom 14.07.2010 verlängerte die Vergabekammer Südbayern gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist zur Entscheidung bis zum 18.10.2010.

Daraufhin beantragte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 23.07.2010, ihr gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB zu gestatten, nach Ablauf von 2 Wochen nach Bekanntgabe der zu treffenden Entscheidung den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.

Mit Beschluss vom 29.07.2010, der Antragstellerin zugegangen am 05.08.2010, gab die Vergabekammer Südbayern dem Antrag statt.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem am gleichen Tag eingegangenen Antrag vom 06.08.2010.

Die Antragstellerin bringt vor, dass die Zuschlagsgestattung gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 GWB einen Ausnahmetatbestand darstelle, dessen Annahme das Vorliegen hier in Anbetracht der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift nicht gegebener besonderer Umstände bedürfe. Andernfalls würde der verfassungsrechtlich abgesicherte Anspruch des Bieters auf effektiven Primärrechtsschutz unzulässig ausgehöhlt werden. Der Antragsgegnerin erwüchsen durch das Nachprüfungsverfahren weder ein relevanter Zeitverlust noch entscheidungserhebliche Mehrkosten.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin sei auch aussichtsreich. Die Vergabestelle habe die Mindestbedingungen für ein Nebenangebot in der Ausschreibung nicht hinreichend dargelegt. Die Beigeladene habe nicht, wie in der Ausschreibung verlangt, den Nachweis der Verfügbarkeit von Ersatzteilen über einen Zeitraum von 20 Jahren sichergestellt. Das Nebenangebot der Beigeladenen sei, was zu dessen Ausschluss führen müsse, gegenüber dem Amtsvorschlag nicht gleichwertig.

Die Antragstellerin beantragt:

Die Antragsgegnerin beantragt,

  • den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dass dem Rechtsbegehren der Antragstellerin schon deshalb nicht stattgegeben werden könne, weil deren Nachprüfungsantrag keine Erfolgsaussicht habe. In der Ausschreibung seien wirksame Mindestanforderungen an die zugelassenen Nebenangebote definiert. Das Nebenangebot der Beigeladenen, auf das der Zuschlag erteilt werden solle, sei auch gleichwertig. Das Schreiben der Beigeladenen vom 26.04.2010 sei dahingehend auszulegen, dass die Verfügbarkei...

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