Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtanwendbarkeit der Auslegungsregel des § 2069 BGB bei Erbeinsetzung anderer naher Verwandter. Ermittlung eines hypothetischen Erblasserwillens zur Ersatzberufung der Kinder des mit letztwilliger Verfügung eingesetzten nahen Verwandten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Auslegungsregel des § 2069 kann nicht - auch nicht analog - angewandt werden, wenn der Erblasser nicht Abkömmlinge, sondern andere nahe Verwandte als Erben eingesetzt hat.

2. Gleichwohl ist in einem solchen Fall regelmäßig zu prüfen, ob im Wege der (ergänzenden) Auslegung ein entsprechender (hypothetischer) Wille des Erblassers für die Berufung der Kinder des nach Errichtung der letztwilligen Verfügung weggefallenen Verwandten festgestellt werden kann; die dafür notwendige Andeutung in der letztwilligen Verfügung kann in einem solchen Fall bereits in der Tatsache der Berufung des nahen Verwandten liegen.

3. Die Annahme des hypothetischen Willens zur Ersatzberufung der Kinder des eingesetzten Verwandten kann insb. dann nahe liegen, wenn Ehegatten in einem Erbvertrag jeweils einen Verwandten des Ehemannes und der Ehefrau als Schlusserben zu gleichen Teilen berufen und die eingesetzten Schlusserben zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung noch Kinder sind.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 157, 2069, 2096, 2099

 

Verfahrensgang

LG Hof (Beschluss vom 17.02.2006; Aktenzeichen 22 T 195/05)

AG Wunsiedel (Beschluss vom 17.11.2005; Aktenzeichen VI 236/05)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3 werden der Beschluss des LG Hof vom 17.2.2006 und der Beschluss des AG Wunsiedel vom 17.11.2005 aufgehoben.

II. Das AG - Nachlassgericht - Wunsiedel wird angewiesen, den am 3.5.2005 erteilten Erbschein einzuziehen.

III. Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 151.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Erblasserin ist am 31.3.2005 im Alter von 82 Jahren verstorben; sie hatte keine Kinder. Ihr Ehemann ist 1996 vorverstorben. Er hatte Abkömmlinge aus einer vorangegangenen Ehe. Die Beteiligte zu 1) ist eine Enkelin des Ehemannes der Erblasserin. Die 1985 bzw. 1988 geborenen Beteiligten zu 2) und 3 sind die Kinder des Neffen der Erblasserin, der 2001 im Alter von 42 Jahren aufgrund eines Unfalls verstorben ist.

Die Ehegatten haben am 19.4.1972 einen Erbvertrag geschlossen, der auszugsweise wie folgt lautet:

"II. Wir, Georg und Else Z. vereinbaren im Wege des Erbvertrages unter gegenseitiger

Annahme was folgt:

I. Wir setzen uns hiermit gegenseitig, der Erstversterbende den Überlebenden von uns zu unseren alleinigen und ausschließlichen Erben ein.

II. Zum Erben des Längstlebenden von uns bestimmen wir

1. Petra H. (Enkel des Ehemanns) und

2. German K. (Neffe der Frau) je zur Hälfte.

Petra H. und German K. sollen auch unser beider Erben sein für den Fall, dass wir gleichzeitig versterben sollten.

III. Der Überlebende von uns ist an die Bestimmungen unter Abschnitt b) nicht gebunden. Er kann vielmehr über sein Vermögen und den Nachlass des Zuerstversterbenden unter Lebenden und von Todes wegen frei verfügen."

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus Bankguthaben i.H.v. rund 165.000 EUR und einem Einfamilienhaus im Wert von rund 138.000 EUR; der Reinnachlasswert beträgt rund 302.000 EUR.

Die Beteiligte zu 1) hat, gestützt auf den Erbvertrag vom 19.4.1972, die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin beantragt mit der Begründung, der Anteil des vorverstorbenen Miterben wachse ihr zu, da eine Ersatzerbenbestimmung nicht getroffen worden sei. Der beantragte Erbschein wurde ihr am 3.5.2005 erteilt.

Mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 10.10.2005 haben die Beteiligten zu 2) und 3) beantragt, den erteilten Erbschein einzuziehen und einen neuen Erbschein des Inhalts zu erteilen, dass die Erblasserin je zur Hälfte beerbt worden ist von der Beteiligten zu 1) sowie von den Beteiligten zu 2) und 3). Zur Begründung haben sie ausgeführt, es sei zwar im Erbvertrag keine ausdrückliche Ersatzerbenbestimmung erfolgt, die ergänzende Auslegung ergebe jedoch, dass nach dem Willen der Eheleute die Abkömmlinge der Bedachten Ersatzerben sein sollten. Es sei deshalb keine Anwachsung eingetreten. Die Erblasserin sei als selbstverständlich davon ausgegangen, dass nach dem Tod ihres Neffen dessen Kinder in seine Erbenstellung eintreten würden, und habe deshalb keinen Anlass zu einer Änderung der erbvertraglichen Regelungen gesehen. Es sei keinesfalls ihr Wille gewesen, dass die Beteiligte zu 1) sie allein beerbe. Das AG hat mit Beschl. v. 17.11.2005 die Anträge der Beteiligten zu 2) und 3) zurückgewiesen. Die Beschwerde gegen diese Entscheidung blieb erfolglos. Gegen die Entscheidung des LG vom 17.2.2006 richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2) und 3).

II. Die Beschwerden der Beteiligten zu 2) und 3) sind zulässig und auch begründet.

1. Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Beteiligte zu 1) sei auf Grund des Erbvertrages vom 19.4.1972 nach dem Tod des German K. alleinige Erbin der Erblasserin geworden; insoweit se...

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