Entscheidungsstichwort (Thema)

Sperrerklärung. Begründung. Gegenvorstellung. G 10-Beschränkungsmaßnahmen. Beweisverwertungsverbot

 

Normenkette

StPO § 96 S. 1; G 10 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3

 

Tenor

  • I.

    Die Anklage der Generalstaatsanwaltschaft München vom 22.08.2017 (Az.: 53 OJs 16/17) wird zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem 9. Strafsenat des Oberlandesgerichts München eröffnet.

  • II.

    Der Strafsenat ist in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern einschließlich des Vorsitzenden besetzt, weil nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung zweier weiterer Richter notwendig erscheint, § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG.

  • III.

    Die Untersuchungshaft der Angeklagten N. A. A. und I. S. dauert aus den Gründen ihrer Anordnung, Aufrechterhaltung und Fortdauer (Haftbefehle des Bundesgerichtshofs vom 31.10.2016, Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 23.02.2017, 14.06.2017, 12.10.2017) fort.

  • IV.

    Der Antrag der Angeklagten A. R. W. Hn., F. Hk. und B. Sa. auf Abtrennung der sie betreffenden Verfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Am 22.08.2017 erhob die Generalstaatsanwaltschaft München Anklage gegen die fünf Angeklagten wegen teils mittäterschaftlich begangener Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, 129b Abs. 1 S. 1 und S. 2, 25 Abs. 2 StGB, davon der Angeklagte A. A. in sieben Fällen, der Angeklagte S. in sechs Fällen und die Angeklagten Hn., Hk. und Sa. in jeweils einem Fall.

II.

Die Voraussetzungen für die Eröffnung des Hauptverfahrens liegen vor. Die Angeklagten sind der ihnen vorgeworfenen Taten im Sinne des § 203 StPO hinreichend verdächtig. Nach vorläufiger Tatbewertung auf der Grundlage des Ergebnisses der Ermittlungen ist eine Verurteilung der Angeklagten in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln zumindest wahrscheinlich (vgl. zum Maßstab des § 203 StPO BGH, Beschluss vom 22.04.2003, Az.: StB 3/03; BGH, Beschluss vom 15.10.2013, Az.: StB 16/13).

1. Wesentlicher Beweiswert wird insoweit den im Rahmen der G 10-Beschränkungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnissen zukommen. Nach vorläufiger Einschätzung besteht kein generelles Verbot der Verwertung dieser Telefongespräche, SMS und Urkunden.

a) Die Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation und für die Einsicht in den Postverkehr durch das Bundesamt für Verfassungsschutz regeln §§ 1 Nr. 1, 3 Abs. 1 und Abs. 2 G 10-Gesetz. Gemäß § 1 Nr. 1 G 10-Gesetz sind unter anderem die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes berechtigt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen sowie die dem Brief- oder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen. Derartige Beschränkungen setzen nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 G 10-Gesetz zusätzlich voraus, dass tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand z. B. Straftaten der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Straftaten nach den §§ 129a bis 130 StGB plant, begeht oder begangen hat und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.

Das Verfahren für den Eingriff in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegt strengen Voraussetzungen und ist stark formalisiert. § 9 G 10-Gesetz verdeutlicht, dass bereits die dort genannten Behörden verantwortlich zu prüfen haben, ob die Durchführung der Beschränkungsmaßnahmen berechtigt und notwendig ist. Die auferlegte Begründung des Antrags muss die anordnende Behörde in die Lage versetzen, die Voraussetzungen für die G 10-Maßnahmen selbständig nachzuprüfen. Dabei werden ihr auch Kenntnisse nicht vorenthalten werden können, die aus Gründen der Staatssicherheit oder des Schutzes der Erkenntnisquelle geheimzuhalten sind (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf der ersten Fassung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses vom 13.06.1967, Drucksache V/1880, S. 10). Die Regelungen zur Anordnung in § 10 G 10-Gesetz stellen unter anderem sicher, dass die Voraussetzungen der Beschränkungsmaßnahmen - ungeachtet § 11 Abs. 2 G 10-Gesetz - spätestens alle drei Monate erneut überprüft werden.

Darüber hinaus sieht § 1 Abs. 2 G 10-Gesetz eine Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium und durch eine besondere Kommission (G 10-Kommission) vor. Damit wird Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG Rechnung getragen, da der Rechtsweg für den Betroffenen jedenfalls partiell beschränkt ist (vgl. § 13 G 10-Gesetz). Die G 10-Kommission stellt ein Organ eigener Art außerhalb der rechtsprechenden Gewalt dar, das an die Stelle des Rechtswegs tritt und als Ersatz für den fehlenden gerichtlichen Rechtsschutz dient (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.09.2016, BVerfGE 143, 1). Ihre Tätigkeit dient mithin dem Grundrechtsschutz für die Bürger, die ihre Rechte wegen der Unbemerkbarkeit der Eingriffe nicht selbst wahrnehmen können. Mit der besonderen...

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