Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Anforderungen an eine Abhilfeentscheidung durch das Nachlassgericht.

2. Will das Nachlassgericht aus der Zuwendung eines Einzelgegenstandes eine Erbeinsetzung herleiten, muss es die Wertverhältnisse der einzelnen Gegenstände des Erblasservermögens im Errichtungszeitpunkt feststellen.

3. Ob die in einem Erbvertrag enthaltenen Verfügungen vertragsmäßig oder einseitig getroffen sind, bestimmt sich nach dem Erblasserwillen und ist gegebenenfalls im Wege der Auslegung zu klären (Anschluss an: BayObLG, Beschluss vom 16.01.1997, 1Z BR 84/96, NJWE-FER 1997, 133).

4. Hinter der Anordnung einer Pflichtteilsstrafklausel kann sich eine Erbeinsetzung für den zweiten Erbfall verbergen (Anschluss an BayObLG, 1 Z 191/1959, BayObLGZ 1960, 216).

 

Normenkette

BGB §§ 2084, 2087, 2274, 2278, 2299; FamFG § 68

 

Verfahrensgang

AG Traunstein (Aktenzeichen 7 VI 724/22)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Traunstein - Nachlassgericht - vom 21.11.2023, Az. 7 VI 724/22, samt Vorlageverfügung vom selben Tag aufgehoben.

2. Die Akten werden dem Nachlassgericht zur erneuten Durchführung des Abhilfeverfahrens zurückgegeben.

 

Gründe

I. Die verwitwete Erblasserin ist am xx.xx.2022 in Ruhpolding verstorben.

Bei den Beteiligten zu 1 und 2 handelt es sich jeweils um Adoptivkinder der Erblasserin, wobei der Beteiligte zu 1 gemeinsam mit dem vorverstorbenen Ehemann adoptiert worden war, die Beteiligte zu 2 lediglich von der Erblasserin im Jahre 2018.

Gemeinsam mit ihrem im Jahre 2003 vorverstorbenen Ehemann hatte die Erblasserin am xx.xx.1963 einen notariellen Ehe- und Erbvertrag und am xx.xx.1997 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Am xx.xx.2007 hatte sie zudem ein eigenhändiges Testament errichtet, am xx.xx.2016 zudem ein weiteres notarielles Testament. Für den Inhalt der Verfügungen wird auf die jeweiligen Urkunden Bezug genommen.

Der Beteiligte zu 1 beantragte am xx.xx.2023 zur Niederschrift des Nachlassgerichts einen Erbschein, der ihn als Alleinerben ausweist.

Am 21.11.2023 kündigte das Nachlassgericht die Erteilung eines entsprechenden Erbscheins an und setzte die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses aus. Es ging im Wesentlichen davon aus, dass dem Beteiligten zu 1 in dem Ehe- und Erbvertrag der wesentliche Vermögensgegenstand zugewendet worden ist, so dass von einer Erbeinsetzung auszugehen sei. Der Beteiligte zu 1 habe nach dem Tod des Vaters seinen Pflichtteil nicht geltend gemacht, so dass er nach dem Tod der Erblasserin nicht enterbt sei.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 2 (Beschwerdeführerin) vom xx.xx.2023, die mit Schriftsatz vom xx.xx.2023 umfangreich begründet wurde.

Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom xx.xx.2023 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Nachlassgerichts vom xx.xx.2023 hat in der Sache einen vorläufigen Erfolg.

Die Sache ist unter Aufhebung des Vorlagebeschlusses an das Nachlassgericht zurückzugeben, da das Abhilfeverfahren an einem schwerwiegenden Verfahrensmangel - Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs - leidet.

1. Zweck des Abhilfeverfahrens - auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit - ist es, dass das Ausgangsgericht seine Entscheidung noch einmal überprüft und der Beschwerde gegebenenfalls abhilft, bevor das Obergericht mit ihr befasst wird (OLG München, 31 Wx 99/16, FGPrax 2017, 42; MüKoZPO/Hamdorf, 6. Auflage 2020, § 572 Rn. 5). Das Ausgangsgericht hat sich in jedem Falle mit dem Beschwerdevorbringen sachlich auseinanderzusetzen, insbesondere um dem Beschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Nachlassgericht seiner Verpflichtung zur Selbstkontrolle nachgekommen ist (Horn in: NK/Nachfolgerecht, 3. Auflage 2023, § 68 FamFG Rn. 5). Für die Begründungsintensität kommt es auch darauf an, ob sich das Ausgangsgericht in der Ausgangsentscheidung bereits mit den Argumenten des Beschwerdevorbringens auseinandergesetzt hat (Horn, a.a.O).

2. Diesen Anforderungen wird die Abhilfeentscheidung des Nachlassgerichts ersichtlich nicht gerecht. Mit dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom xx.xx.2023 setzt es sich in keiner Weise auseinander. Dies wird das Nachlassgericht in dem erneut durchzuführenden Abhilfeverfahren nachzuholen haben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Sofern das Nachlassgericht die Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 aus dem Ehe- und Erbvertrag vom xx.xx.1963 herleitet, wird es sich damit auseinanderzusetzen haben, dass eine ausdrückliche Erbeinsetzung für den zweiten Erbfall nicht vorliegt. Da vorliegend die Auslegung einer notariellen Urkunde inmitten steht, wird das Nachlassgericht diesen Umstand besonders zu würdigen haben. Sofern das Nachlassgericht die Alleinerbenstellung des Beteiligten zu 1 daraus herleiten will, dass diesem von den Testatoren zwar nur ein Einzelgegens...

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