Entscheidungsstichwort (Thema)

Zum Erfordernis qualifizierter Erwerbsbemühungen eines entlassenen Strafgefangenen

 

Leitsatz (amtlich)

Den Unterhaltspflichtigen trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er seiner Pflicht, sich in gesteigertem Maße um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen und hierfür alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, nachgekommen ist.

Fehlen hinreichend Belege für qualifizierte Erwerbsbemühungen, spricht allein die Tatsache, dass der Unterhaltsverpflichtete längere Zeit in Strafhaft war, nicht dafür, dass er nicht vermittelbar ist. Eine entsprechende tatsächliche Vermutung streitet nicht für ihn.

Insbesondere hat er darzulegen, dass er sich bei seiner Stellensuche der Hilfe einschlägiger Institutionen bedient hat, die sich speziell um die berufliche und soziale Wiedereingliederung von ehemaligen Strafgefangenen kümmern.

Es ist davon auszugehen, dass einem langjährigen Häftling die Existenz solcher Einrichtungen bei der Entlassung bekannt ist.

Die Notwendigkeit ihrer Inanspruchnahme muss sich ihm daher aufdrängen.

 

Verfahrensgang

AG Brühl (Urteil vom 24.09.2008; Aktenzeichen 32 F 509/07)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 24.9.2008 verkündete Urteil des AG - Familiengericht - Brühl - 32 F 509/07 - geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger monatlichen Unterhalt wie folgt zu zahlen:

  • für die Zeit vom 1.10.2006 bis 31.12.2008 jeweils 100 % des Regelbetrages für die zweite Altersstufe der jeweils gültigen Regelbetrag- Verordnung;
  • für die Zeit vom 1.1.2008 bis 31.12.2008 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts gem. § 1612a BGB in der Fassung des Unterhaltsrechtsänderungsgesetzes vom 21.12.2007 i.V.m. § 36 Nr. 4 EGZPO, abzgl. der Hälfte des im Jahre 2008 gezahlten Kindergeldes;
  • ab 1.1.2009 100 % des jeweiligen Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe des Klägers gem. § 1612a BGB n.F., abzgl. der Hälfte des jeweiligen Kindergeldes.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden, und hat auch in der Sache Erfolg.

Der Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger gemäß den §§ 1601 ff. BGB Kindesunterhalt in der beantragten Höhe zu zahlen.

Für die Zeit von Oktober 2006 bis einschließlich Dezember 2007 schuldet er den für die hier maßgebliche zweite Altersstufe des Klägers festgesetzten Regelbetrag der jeweils gültigen Regelbetrag-Verordnung. Bis zum 30.6.2007 belief sich der Regelbetrag auf 247 EUR (entsprechend der ersten Einkommensgruppe und der zweiten Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.7.2005) und vom 01.07. bis 31.12.2007 auf monatlich 245 EUR (entsprechend der ab dem 1.7.2007 geänderten Düsseldorfer Tabelle).

Für die Zeit vom 1.1.2008 bis 31.12.2008 belief sich der Mindestunterhalt für die zweite Alterstufe nach § 1612a BGB n.F. i.V.m. § 36 Nr. 4 EGZPO auf 322 EUR, von dem nach § 1612b Abs. 1 BGB n.F. das hälftige Kindergeld i.H.v. 77 EUR abzuziehen ist, so dass für diesen Zeitraum weiterhin ein monatlicher Unterhaltsbetrag von 245 EUR zu zahlen ist (entsprechend der Düsseldorfer Tabelle, Stand 1.1.2008).

Ab 1.1.2009 ändern sich die Zahlbeträge infolge der Erhöhung der Freibeträge für Kinder (die Übergangsvorschrift des § 36 Nr. 4 EGZPO ist nunmehr nicht mehr anzuwenden) und infolge der Erhöhung des Kindergeldes von 154 EUR auf 164 EUR. In der zweiten Altersstufe sind nunmehr monatlich 240 EUR zu zahlen (entsprechend der zum 1.1.2009 in Kraft getretenen neuen Düsseldorfer Tabelle).

Der Beklagte ist zur Zahlung des ausgeurteilten Unterhalts als leistungsfähig anzusehen, auch wenn er derzeit, wie er behauptet, über keinerlei Erwerbseinkünfte verfügt und ausschließlich von seinen Eltern, bei denen er wohnt, unterhalten wird (ab dem 1.11.2008 erhält er Leistungen nach dem SGB II).

Wie in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert wurde, sind ihm aufgrund seiner nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigerten Unterhaltspflicht ggü. dem minderjährigen Kläger fiktive Einkünfte zuzurechnen, die ihn in die Lage versetzen, monatlichen Unterhalt in der genannten Höhe zu zahlen.

Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil des BGH v. 3.12.2008 - XII ZR 182/06 - in FamRZ 2009, 314) folgt aus der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese bei gutem Willen ausüben könnte, können deswegen nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden. Voraussetzung einer Zurechnung fiktiver Einkünfte ist mithin, dass der Unterhaltspflichtige die ihm zumutbaren Anstrengungen, eine angemessene Erwerbstätigkeit zu finden, nicht oder nicht ausreichend unternommen hat und dass bei genügenden Bemühungen eine reale Beschäftigungschance bestanden hätte.

Derartige zumutbare Anstrengung...

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