Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff der Weitersendung in § 20b Abs. 1, S. 1 UrhG ist enger als in § 87 Abs. 1, S. 1, 1. Alt. UrhG; die Weitersendung gemäß § 87 UrhG setzt nicht voraus, dass diese vollständig und ohne Änderungen erfolgt.

2. Ist die Sendung selbst Gegenstand der Nutzung, kann sie nicht zugleich Tagesereignis im Sinne der Schrankenregelung des § 50 UrhG sein.

3. Eine 13-minütige Weitersendung der "Berliner Runde" am Abend der Bundestagswahl war auch unter Berücksichtigung des Drei-Stufen-Testes nicht durch den Informationszweck gerechtfertigt; es hätten mit einem gewissen zeitlichen Versatz auch einzelne pointierte Äußerungen der Politiker wiedergegeben werden können.

4. Das Zitatrecht aus § 51 UrhG umfasst nicht eine 13-minütige Weitersendung des Sendesignals, da der Umfang der Darstellung nicht vom Zitatzweck umfasst ist.

5. Die bloße Einstellung der Verletzungshandlung lässt die Dringlichkeit im Rahmen einer urheberrechtlichen einstweiligen Verfügung - abgesehen von Ausnahmefällen - nicht entfallen.

 

Normenkette

UrhG § 1. Alt, § 20b Abs. 1 S. 1, §§ 50-51, 87 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 14 O 354/21)

 

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerinnen gegen das am 03.03.2022 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 14 O 354/21 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragsgegnerinnen.

 

Gründe

I. Die Verfahrensbeteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Weitersendung und öffentlichen Zugänglichmachung von Funksendungen im Rahmen der Berichterstattung über die Bundestagswahl am 26.09.2021.

Die Antragstellerin ist eine gebührenfinanzierte, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt in der Bundesrepublik Deutschland. Sie betreibt unterschiedliche mediale Angebote, darunter auch das hier dem Streit zugrundeliegende bundesweit ausgestrahlte Fernsehprogramm "ZDF".

Die Antragsgegnerin zu 3 ist ein großes europäisches Verlagshaus, das u.a. Information und Unterhaltung auf digitalen Vertriebswegen in Zeitungen, Zeitschriften und einer Reihe multimedialer Marken wie "BILD" und "Die Welt" vertreibt. Die Antragsgegnerin zu 1 ist ein bundesdeutsches Medienunternehmen und hundertprozentiges Tochterunternehmen der Antragsgegnerin zu 3, welche die Aktivitäten der Welt-Gruppe und der Fernsehsender WELT und N24 Doku hier gebündelt hat. Gegenstand der Antragsgegnerin zu 2 ist die Entwicklung, Erstellung, Verbreitung und Vermarktung von Multimedia-Inhalten auf unterschiedlichen Medienplattformen. Die Antragsgegnerin zu 2 veranstaltet das Internet-Rundfunkangebot BILD Live. Die Antragsgegnerin zu 3 ist Alleingesellschafterin der Antragsgegnerin zu 2.

Der von der Antragsgegnerin zu 1 betriebene Fernsehsender BILD TV verfügt seit Juni 2021 über eine Rundfunkzulassung und nahm am 22.08.2021 den Sendebetrieb mit einem Programm unterschiedlicher Sparten auf.

Am Tag der Bundestagswahl am 26.09.2021 strahlte das ZDF die Wahlberichterstattungen "Bundestagswahl 2021 - Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern" sowie "Berliner Runde" aus. Im Rahmen der Wahlberichterstattung erfolgte zwischen 18:04:22 Uhr und 18:05:30 Uhr ein live gesendetes Interview mit dem damaligen Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil. Die sog. "Berliner Runde" wurde ab 20:15 Uhr bis 21:15 Uhr gesendet.

Auf dem Sender "BILD TV" wurde am 26.09.2021 im Rahmen der dortigen Wahlberichterstattung u.a. die Sendung "BILD LIVE SPEZIAL: Wahl 2021. Es geht um Deutschland!" gezeigt. Eine Reihe von Moderatoren führte dabei mit unterschiedlichen Gästen durchs Programm. Das Interview mit Herrn Klingbeil wurde um 18.18 Uhr auf "BILD TV" ausgestrahlt und war unter https://www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html sowie über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/watch?v= IXDiWljPIWU verfügbar.

Die ersten 13 Minuten der Sendung "Berliner Runde" wurden auf "BILD TV" zeitgleich zwischen 20:15 und 20:28 Uhr gezeigt und im Internet unter der URL https://www.bild.de/tv/mediathek/livestream/startseite-77204148.bild.html sowie über YouTube unter der URL https://www.youtube.com/watch?v= IXDiWljPIWU bereitgehalten.

Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerinnen mit Schreiben vom 29.09.2021 wegen der Übernahme von Bild- und Tonübertragungen der Wahlberichterstattung der Antragstellerin anlässlich der Bundestagswahl 2021 vom 26.09.2021 ab (Anlage Ast 5, Bl. 32 ff. d.A.) und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung sowie zur Zahlung von Schadensersatz auf. Die Antragsgegnerinnen erwiderten mit Schreiben vom 05.10.2021 (Anlage Ast 6, Bl. 39 ff. d.A.) und wiesen die Ansprüche zurück.

Die Antragstellerin hat in der Folge den Erlass einer einstweiligen Verfügung nachfolgenden Inhalts beantragt:

1) Im Wege der einstweiligen Verfügung - der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung - wird der Antragsgegnerin zu 1 bei Meidung eines von dem Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrie...

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