Leitsatz (amtlich)

1. Ist ein operativer Eingriff zwar dringlich veranlasst, muss aber nicht sofort erfolgen (hier: operative Versorgung einer Oberschenkelhalsfraktur), muss dem Patienten zwischen Aufklärung und Einwilligung eine den Umständen nach angemessene Bedenkzeit gelassen werden.

2. Besteht in einem Krankenhaus aus organisatorischen Gründen die Übung, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung zur Unterschrift unter die vorgedruckte Einwilligungserklärung zu bewegen, wird die Entscheidungsfreiheit des Patienten unzulässig verkürzt. Eine solche Einwilligungserklärung muss vom Patienten nicht ausdrücklich widerrufen werden. Vielmehr trifft die den Eingriff durchführenden Ärzte die Pflicht - was durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen ist -, sich vor dem Eingriff davon zu überzeugen, dass die Einwilligungserklärung nach wie vor dem freien Willen des Patienten entspricht.

 

Normenkette

BGB §§ 280, 630a, 630e, 823

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 3 O 286/15)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 7.2.2017 - 3 O 286/15 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von 10.000.- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 9.7.2014 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche zukünftigen unvorhersehbaren immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden, die ihr infolge der Operation vom 2.8.2013 entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiter verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1789,76 EUR zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 80% und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 20%.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am 10.03.1956 geborene Klägerin wurde nach einem Sturzereignis im häuslichen Umfeld in der Nacht vom 1. auf den 2.8.2013 stationär im Hause der Beklagten zu 1 aufgenommen. Nach Anfertigung von Röntgenbildern wurde eine nicht dislozierte geschlossene mediale Oberschenkelhalsfraktur diagnostiziert und seitens des Beklagten zu 2 die Indikation zur operativen Versorgung gestellt. Dieser führte anhand eines Aufklärungsbogens (Anl. B1, Bl. 91 ff. der Akte) das präoperative Aufklärungsgespräch mit der Klägerin durch. Die Klägerin äußerte dabei Zweifel an der Indikation, an der Notwendigkeit einer Operation und an der Qualifikation der Ärzte der Beklagten zu 1, unterzeichnete schließlich aber dennoch die vorgedruckte Einwilligungserklärung. Die Operation, die zunächst für die Mittagszeit des 2.8.2013 vorgesehen war, wurde am nächsten Tag auf die Morgenstunden des 2.8.2013 vorgezogen und durch die Beklagten zu 3 und 4 durchgeführt. Dabei erfolgte eine geschlossene Reposition und Osteosynthese unter Verwendung einer dynamischen Hüftschraube. Am 08.08.2013 wurde die Klägerin aus der stationären Behandlung entlassen.

Die Klägerin hat behauptet, eine operative Versorgung des Bruchs sei nicht indiziert gewesen, vielmehr hätte die Fraktur konservativ behandelt werden können und müssen. Die Möglichkeit einer konservativen Therapie sei im Aufklärungsgespräch nicht angesprochen worden, sondern der Beklagte zu 2 habe die Klägerin mit der Drohung, sie werde sonst zum Pflegefall, zur Einwilligung in die Operation gedrängt. Anderenfalls hätte sie sich jedenfalls zunächst für eine konservative Behandlung entschieden, da bei ihr Narkoseangst und Operationsangst bestehe. Dass die operative Versorgung bei ihr unnötig sei, habe auch ihr Orthopäde Dr. A ausdrücklich bestätigt. Ihr Ehemann habe ihn auf ihren noch in der Nacht geäußerten Wunsch am Vormittag des 2.8.2013 aufgesucht und zu seiner Meinung befragt. Wegen der Vorverlegung der Operation sei dessen Auskunft ihr indes nicht mehr rechtzeitig zugegangen.

Sie hat weiter behauptet, bei der Operation sei kein Implantat aus Titan, sondern aus Stahl verwendet worden, was ebenfalls als Behandlungsfehler zu werten sei. Zudem sei nach der Operation eine Mullbinde in ihrer Scheide verblieben, welche sie erst 4 Tage später gefunden habe und bei ihr eine Entzündung verursacht habe.

Infolge der fehlerhaften Behandlung leide sie bis heute an Schmerzen in der linken Leiste. Ein Liegen oder Schlafen auf der linken Seite sei ihr nich...

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