Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang der Rechtskrafterstreckung eines Feststellungsurteils bei Sekundärschäden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Rechtskraft eines Feststellungsurteils im Arzthaftungsprozess führt dazu, dass im Folgeprozess zur Schadenshöhe und zu weiteren Sekundärschäden Einwendungen zur Frage des Behandlungsfehlers, der haftungsbegründenden Kausalität und der festgestellten Primärschäden, nicht hingegen auch der Sekundärschäden, unbeachtlich sind.

2. Für einen Sekundärschaden haftet der rechtskräftig verurteilte Behandler, wenn feststeht, dass der Sekundärschaden auf dem rechtskräftig festgestellten Primärschaden beruht, oder wenn feststeht, dass der Sekundärschaden in sonstiger Weise durch den festgestellten Behandlungsfehler verursacht wurde, oder wenn feststeht, dass er auf einem sonstigen, nicht rechtskräftig festgestellten Behandlungsfehler beruht.

3. Besteht eine lebensnahe Möglichkeit, dass bei einer Infiltrationsanästhesie nicht nur - insoweit rechtskräftig festgestellt fehlerhaft - die Arteria carotis verletzt wurde, sondern daneben auch - insoweit nicht feststellbar fehlerhaft - der Nervus alveolaris, und werden die geltend gemachten Sekundärschäden wesentlich plausibler durch die Nervverletzung als durch die Gefäßverletzung erklärt, kann sich der Patient nicht mit Erfolg auf den im Vorprozess festgestellten Schädigungsmechanismus berufen.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 280, 611, 823; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Urteil vom 19.04.2010; Aktenzeichen 9 O 339/09)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19.4.2010 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bonn - 9 O 339/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der beklagte Zahnarzt nahm am 19.12.2001 bei der am 0.0.1958 geborenen Klägerin im Zusammenhang mit der Versorgung der Zähne 35 bis 37 mit einer Brücke eine Leitungsanästhesie im linken Unterkiefer vor. Die Klägerin verspürte einen heftigen Schmerz auf der linken Gesichtsseite, dem eine vorübergehende Lähmung der gesamten Gesichtshälfte folgte. Sie erblindete für wenige Minuten auf dem linken Auge. Der Beklagte konnte die geplanten Arbeiten am 19.12.2001 ausführen.

Im Vorprozess (9 O 271/04 LG Bonn = 5 U 55/05 OLG Köln) hat der Senat, nachdem das LG die Klage nach zahnärztlicher Begutachtung durch Dr. D (Bl. 93 ff., 127 ff. der Beiakte) abgewiesen hatte, das neurologisches Gutachten von Prof. Dr. I vom 20.12.2005 (Bl. 229 ff. der Beiakte) eingeholt, welches der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 17.5.2006 erläutert hat (Bl. 265 ff. der Beiakte). Durch rechtskräftiges Urteil vom 28.6.2006 hat der Senat den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 3.750 EUR nebst Zinsen verurteilt und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle weiteren vergangenen und künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die der Klägerin aus der fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung durch den Beklagen entstanden sind oder noch entstehen werden.

Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass nach den Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. I angesichts der Symptomatik von einer nach ihrer Lage und durch vorherige Aspiration vermeidbaren Punktion der Arteria Carotis interna mit arterieller Blutung, Hämatombildung und Druck auf den N. Trigeminus auszugehen sei. Im Rahmen der Bemessung des Schmerzensgeldes hat der Senat eine längerfristige (das heißt bis zu zwei Monate andauernde) Schmerzsymptomatik infolge des Drucks des sich durch die Verletzung der Arteria Carotis interna ausbildenden Hämatoms auf den Nervus trigeminus, eine im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen Ende 2005 noch vorhandene leichte Neuropathie des Nervus trigeminus in Form einer Hypästhesie/Algesie im sensiblen Innervationsareal auf der linken Seite sowie eine in ihrer Prognose unklare Trigeminusneuralgie berücksichtigt, die einen intermittierenden blitzartig einschießenden Schmerz entlang der Ausbreitungsachse des Nerven zur Folge hat und durch Handlungen wie Zähneputzen oder Kieferöffnen ausgelöst wird. Die Trigeminusneuralgie trat nach den Angaben der Klägerin gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. I während bestimmter zeitlicher Intervalle auf, die sich mit längeren schmerzfreien Perioden abwechselten.

In dem von der Klägerin im August 2007 mit der Begründung, dass sich ein Dauerschmerz im Gesicht eingestellt habe, eingeleiteten selbständigen Beweisverfahren 9 OH 13/07 LG Bonn hat der Sachverständige Prof. Dr. Dr. K das mund-, kiefer und gesichtschirurgische Gutachten vom 25.2.2009 erstattet (Bl. 131 ff. der Beiakte.).

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