Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrenskostenhilfe: Mehrbedarf bei der Betreuung eines behinderten Kindes

 

Leitsatz (amtlich)

Es streitig, ob ein für die Betreuung eines behinderten Kindes sozialhilferechtlich gewährter Mehrbedarf als besondere Form der Sozialhilfe als Einkommen i.S.d. § 115 ZPO anzusehen ist (bejahend BGH v. 5.5.2010, FamRZ 2010, 1324 m.w.N.; ablehnend z.B. KG FamRZ 2007, 915).

Soweit diese zusätzlichen sozialen Leistungen als Einkommen im Rahmen der Prozesskost-/Verfahrenskostenhilfe gesehen werden, erscheint es angebracht, diese im Regelfall unberücksichtigt zu lassen, weil eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass solche Mehrkosten anfallen. Für eine solche tatsächliche Vermutung spricht schon die pauschalierte Bewilligung der Sozialhilfe.

Es erscheint daher vertretbar, den bewilligten Mehrbedarf entweder pauschal als besondere Belastungen gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO wieder vom Einkommen abzuziehen (so überwiegend das Schrifttum: Zöller/Geimer, ZPO, § 115 Rz. 39; Musielak/Fischer, ZPO, § 115 Rz. 27).

Soweit der BGH (a.a.O.) vom Antragsteller verlangt, dass dieser den Mehrbedarf darzulegen und sodann ggf. Vom Einkommen in Abzug zu bringen hat, dürfen an die Darlegungslast keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Es reicht eine kurze Darlegung der zusätzlichen Belastungen, die dem Gericht eine Schätzung des Mehrbedarfs erlaubt, wobei als Schätzgrundlage die sozialhilferechtlichen Bedarfssätze mit herangezogen werden können.

 

Normenkette

ZPO § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 4; SGB XI §§ 36 ff

 

Verfahrensgang

AG Bonn (Beschluss vom 05.09.2011; Aktenzeichen 405 F 119/11)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG Bonn - Familiengericht - vom 5.9.2011 (405 F 119/11) dahin abgeändert, dass der Antragsgegnerin ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt X. in C. für die Ehesache und den Versorgungsausgleich bewilligt wird.

 

Gründe

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die angegriffene Entscheidung ist abzuändern. Die Antragsgegnerin ist von der Verpflichtung zur Ratenzahlung zu befreien. Ihr verbleibt kein restliches, für Verfahrenskosten verfügbares Einkommen mehr, § 115 Abs. 1, 2 ZPO.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die von der Antragsgegnerin geltend gemachte Privatinsolvenz keinen unmittelbaren Einfluss auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und auf eine Ratenanordnung hat, dieser mithin nicht grundsätzlich entgegensteht.

Zugunsten der Antragsgegnerin sind jedoch gegenüber der Berechnung des AG weitere Abzüge von ihrem Einkommen zu berücksichtigen.

Das rechnerisch sich nach der Erklärung der Antragsgegnerin ergebende Einkommen von 3.110,39 EUR ist um das Pflegegeld von 225 EUR zu kürzen. Pflegegeld, d.h. Leistungen aus der Pflegeversicherung gem. § 36 ff SGB XI (Thomas/Putzo, 32. Aufl., § 115 Rz. 3) ist kein Einkommen nach § 115 ZPO.

Ferner sind bei der Antragsgegnerin, die einen schwerbehinderten Sohn neben ihren vier weiteren Kindern betreut und zudem selbst behindert ist, wegen dieser besonderen Belastungen weitere Beträge in Abzug zu bringen, § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO.

Dieser Mehrbedarf ist bei der Höhe der Leistungen des Jobcenters (s. Aufstellung vom 8.7.2011) berücksichtigt. So enthält der der Antragsgegnerin zugebilligte Monatsbedarf mit 709 EUR auch einen Mehrbedarf. Ob dieser gewährte Mehrbedarf, der als besondere Form der Sozialhilfe zur Verfügung gestellt wird, überhaupt als Einkommen i.S.d. § 115 ZPO anzusehen ist, ist streitig, wird allerdings vom BGH bejaht (ablehnend z.B. KG FamRZ 2007, 915; bejahend: BGH v. 5.5.2010, FamRZ 2010, 1324 m.w.N.) Auch wenn diese zusätzlichen sozialen Leistungen als Einkommen im Rahmen der Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe gesehen werden, sind sie entweder pauschal als besondere Belastungen gem. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO wieder vom Einkommen abzuziehen (so überwiegend das Schrifttum: Zöller/Geimer, ZPO, § 115 Rz. 39; Musielak/Fischer, ZPO, § 115 Rz. 27) oder vom Antragsteller darzulegen und sodann ggf. in Abzug zu bringen (BGH v. 5.5.2010, FamRZ 2010, 1324).

Vorliegend hat die Antragsgegnerin zusätzliche besondere Belastungen hinreichend konkret dargelegt, deren Höhe der Senat auf mindestens 80 EUR schätzt. Sie hat vorgetragen, dass sie wegen der eigenen Behinderung und der ihres Kindes auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist, dessen laufenden Kosten jedenfalls mit 80 EUR anzusetzen sind. Für die Kfz-Versicherung fallen monatlich rd. 35 EUR an, was die Antragsgegnerin belegt hat. Daneben sind - ohne die Benzinkosten, die durch das gezahlte Fahrgeld abgegolten werden - noch Steuern und Rücklagen für Reparaturen zu berücksichtigen, so dass die Belastungen zumindest mit 80 EUR monatlich berücksichtigt werden müssen.

Auf der Grundlage der Berechnung des AG im Teilabhilfebeschluss vom 6.10.2011 gilt folgendes:

Das im Übrigen vom AG zutreffend ermittelte Einkommen der Antragsgegnerin ist um das Pflegegeld zu kürzen, so dass ...

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