Leitsatz (amtlich)

1. Für den Begriff der erhöhten Kraftanstrengung im Sinne des erweiterten Unfallbegriffes nach Nr. 1.4.1 AUB 2008 ist im Sinne eines subjektiven Maßstabes entscheidend, ob im Einzelfall für den konkreten Versicherten unter Berücksichtigung seiner individuellen körperlichen Verhältnisse eine erhöhte Kraftanstrengung vorliegt.

2. Für das Vorliegen einer erhöhten Kraftanstrengung nach den individuellen Verhältnissen des Versicherten kommt es jedoch nicht darauf an, ob die Tätigkeit oder der Vorgang, die oder der zum Schadensereignis geführt hat, zum Lebens- oder Berufsalltag des Versicherten gehört und deshalb von ihm häufiger oder gar regelmäßig ausgeübt wird (hier: Anheben eines ca. 20 kg schweren Farbeimers durch einen Maler; entgegen OLG Hamm, MDR 2011, 662 - Taxifahrer). Denn nach dem erweiterten Unfallbegriff in Nr. 1.4.1 der AUB 2008 wird zwar eine "erhöhte" aber keine "außergewöhnliche" Kraftanstrengung gefordert.

3. Eine anspruchsmindernde Berücksichtigung vorbestehender Krankheiten oder Gebrechen, die bei der durch ein Unfallereignis verursachten Gesundheitsschädigung oder deren Folgen mitgewirkt haben (Nr. 3 AUB 2008), ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil es zu der Schädigung im Rahmen eines Ereignisses nach dem erweiterten Unfallbegriff (hier: Riss einer Sehne durch erhöhte Kraftanstrengung) nicht ohne die bestehende Vorschädigung hätte kommen können (entgegen OLG Düsseldorf, NJW-RR 2004, 1613).

 

Normenkette

AUB 2008 Nr. 1.4.1, Nr. 3; VVG § 178

 

Verfahrensgang

LG Trier (Aktenzeichen 2.122015, 6 O 155/15)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 22.01.2020; Aktenzeichen IV ZR 125/18)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 2. Dezember 2015, Az.: 6 O 155/15, abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die der Höhe nach im Vertrag und den einschlägigen Versicherungsbedingungen bestimmten Leistungen (Versicherungsschutz für den Versicherungsfall vom 3. Oktober 2013) unter Zugrundelegung einer mitursächlichen Vorschädigung von 90 % zu gewähren.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334, 75 EUR freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 90 % und die Beklagte zu 10 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Parteien wird jeweils nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die jeweils andere Partei durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des gegen sie vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten Feststellung der Verpflichtung zur Gewährung von Versicherungsschutz für einen behaupteten Versicherungsfall vom 3. Oktober 2013 aus einem zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherungsvertrag.

Die Parteien sind durch einen Unfallversicherungsvertrag seit dem 10. Juli 2002 verbunden. Vereinbart waren eine Versicherungsgrundsumme von 143.000,00 EUR (Versicherungsschein vom 16. Oktober 2013, K10, Bl. 55 SH) und die Geltung der Versicherungsbedingungen AUB 2008 (K1).

Ziff. 1.4.1 der Versicherungsbedingungen lautet: "Als Unfall gilt/gelten auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden."

Der Kläger führte am 3. Oktober 2013 im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses zu einem luxemburgischen Arbeitgeber Malerarbeiten an einer Fassade durch. Die Parteien streiten darüber, ob es dabei zu einem Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen gekommen ist durch Anheben eines schweren Farbeimers.

Am Folgetag begab sich der Kläger in die Behandlung seiner Hausärztin Dr. ...[A], die Arbeitsunfähigkeit feststellte. Verordnete Krankengymnastik und Lasertherapie brachten keine Besserung. Der Kläger begab sich am 08.10.2013 in Behandlung des Orthopäden Dr. ...[B], bei dem er wegen Schulterschmerzen rechts bereits 2012 in Behandlung gewesen war. Es ist streitig, ob und inwieweit der Kläger über einen Vorfall am 03.10.2013 berichtete. Am 15. November 2013 suchte der Kläger den Orthopäden Dr. ...[C] auf, wobei gleichfalls streitig ist, ob und inwieweit der Kläger über einen Vorfall am 03.10.2013 Angaben machte. Dr. ...[C] stellte die Diagnose einer Ruptur der Supraspinatussehne im rechten Schultergelenk und behandelte den Kläger operativ am 2. Januar 2014 (vgl. Operationsbericht vom 3. Januar 2014, K2). Der Kläger wandte sich an die Beklagte wegen Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Darauf erstellten im Auftrag der Beklagten die Dres. ...[D] und ...[E] nach einer Untersuchung des Klägers am 17. September 2014 ein fachorthopädisches Gutachten unter dem 29. Sept...

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