Entscheidungsstichwort (Thema)

Scheidungsverfahren ohne Anhörung eines (ausländischen) Ehegatten

 

Leitsatz (redaktionell)

Von der Anordnung des persönlichen Erscheinens und der Anhörung eines Ehegatten im Scheidungsverfahren darf nicht mit Rücksicht auf den Wohnsitz der Partei im Ausland oder ihr Nichterscheinen im Termin Abstand genommen werden.

 

Normenkette

ZPO § 310 Abs. 1 S. 1, § 613 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Mainz (Urteil vom 10.04.2006; Aktenzeichen 35 F 85/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Antragsgegnerin werden das Urteil des AG - FamG - vom 10.4.2006 und das ihm zugrunde liegende Verfahren aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem AG vorbehalten. Gerichtskosten für das Verfahren im zweiten Rechtszug werden nicht erhoben.

 

Gründe

I. Der Antragsteller (geb. 19.2.1958; ehemals türkischer und jetzt deutscher Staatsangehöriger) begehrt die Scheidung der am 5.10.1982 vor dem Standesamt in Tunceli (Osttürkei) geschlossenen Ehe mit der Antragsgegnerin (geb. 15.4.1965; türkische Staatsangehörige).

Die Parteien lebten zunächst in der Türkei in einer gemeinsamen Wohnung; der gemeinsame Sohn Engin wurde am 5.1.1986 geboren.

Der Antragsteller lebt seit 1991 in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft mit einer anderen Frau in Mainz; aus dieser Verbindung sind zwei Kinder hervorgegangen. Die Antragsgegnerin lebt nunmehr in Antalya (Türkei).

Das AG hat die Zustellung des Scheidungsantrags an die Antragsgegnerin in der Türkei veranlasst (Zertifikat nach Art. 6 des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 15.11.1965 - HZÜ - [BGBl. II 1977, S. 1453]; (Bl. 57 und 58 GA; in der mündlichen Verhandlung vom 23.3.2006, in der für die Antragsgegnerin niemand erschienen ist, hat es den Antragsteller angehört (Protokoll Bl. 59-61 GA).

Mit - nicht verkündetem - Urteil vom 10.4.2006 (Bl. 62-64 GA) hat das AG die Ehe der Parteien geschieden. Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin rügt die vom AG rechtsfehlerhaft angenommenen Voraussetzungen nach dem türkischen Ehescheidungsrecht; weder habe sie den Antragsteller böswillig verlassen noch liege - ungeachtet der seit vielen Jahren andauernden faktischen Trennung - eine Zerrüttung der Ehe vor.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. das Urteil des AG - FamG - vom 10.4.2006 aufzuheben und die Sache an das AG zurückzuverweisen;

2. - hilfsweise - den Versorgungsausgleich durchzuführen.

Der Antragsteller beantragt, die Berufung zurückzuweisen

Der Antragsteller verteidigt das angefochtene Urteil, hebt die in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gescheiterte Übersiedlung der Antragsgegnerin nach Deutschland sowie den in der Folge völlig abgerissenen Kontakt der Eheleute hervor und weist schließlich noch auf den von der Antragsgegnerin in der Türkei bereits in 1992 gestellten Scheidungsantrag (Bl. 88-91 GA) hin.

II. Die Berufung führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Ehesache in den ersten Rechtszug.

1. Die Berufung ist zulässig.

Das AG hat entgegen der Vorschrift des § 310 Abs. 1 S. 1 ZPO das Urteil nicht verkündet, allerdings förmlich zugestellt (§§ 172 Abs. 1 S. 1; 184 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2 ZPO (Bl. 67 und 68 GA) und damit den Parteien bekannt gegeben. Damit ist ein - anfechtbares -. Urteil im Rechtssinne existent geworden (vgl. LAG Hamm ZIP 1998, 163; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl. 2003, § 310 Rz. 4).

Unbeschadet des Nachweises der ordnungsgemäßen Zustellung des Scheidungsantrags an die Antragsgegnerin in der Türkei (Zustellungszeugnis des türkischen Justizministeriums in Ankara vom 2.1.2006 nach Art. 6 HZÜ; Bl. 56-58a GA) ist die Berufung der Antragsgegnerin jedenfalls vor Ablauf der mit dem Beginn der Zustellungsfiktion gem. § 184 Abs. 2 S. 1 ZPO am 10.5.2006 berechneten Berufungsfrist beim OLG eingegangen (§ 517 ZPO; s auch BGH VersR 1984, 1192).

2. Die Berufung ist auch begründet.

Die aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung mit dem Antragsteller ausgesprochene - streitige - Ehescheidung (vgl. Hüsstege in Thomas/Putzo a.a.O., § 612 Rz. 7) beruht, wie die Berufung im Kerngehalt zutreffend beanstandet, auf einem Mangel des hier nach der lex fori maßgeblichen gerichtlichen Verfahrens.

Das - international zuständige (Art. 3 Abs. 1 lit. a Spiegelstrich 6 der Verordnung [EG] Nr. 2201/2003) - AG war im Lichte des Untersuchungsgrundsatzes (§ 616 ZPO) und des beiden Eheleuten zu gewährenden rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 2 LV) gehalten, das persönliche Erscheinen der Ehegatten anzuordnen und beide - die Antragsgegnerin unter Umständen auch durch einen ersuchten Richter - anzuhören (§ 613 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO). Die persönliche Anhörung der Antragsgegnerin, die zu ihrem Schutz unter Umständen ggf. auch mit einem Hinweis nach § 625 Abs. 1 S. 2 ZPO zu verbinden war (Scheidungsverbund; Beiordnun...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge