Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitverschulden bei Rücknahme des Scheidungsantrags nach türkischem Recht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein (Mit-)Verschulden des nicht scheidungswilligen Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe kann im Rahmen des Art. 166 Abs. 1 türk. ZGB n.F. auch darin liegen, dass er einen zunächst gestellten eigenen Scheidungsantrag allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus zurückgenommen hat, eine Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft aber selbst ernsthaft und endgültig ablehnt.

2. Die Ausübung des Widerspruchsrechts nach Art. 166 Abs. 2 S. 2 türk. ZGB n.F. ist rechtsmissbräuchlich, wenn der widersprechende Ehegatte hiermit rein wirtschaftliche Interessen verfolgt wie etwa die Sicherung einer weiterhin kostenfreien Krankenversicherung über den anderen Ehegatten oder eine weitere Teilhabe an nach Zustellung des Scheidungsantrags erworbenen Anwartschaften des Antragstellers in der Altersversorgung. Das Widerspruchsrecht nach Art. 166 Abs. 2 türk. ZGB n.F. dient allein dem Schutz des Schwächeren ggü. dem die Scheidung begehrenden anderen Eheteil im Interesse einer denkbaren Versöhnung beider und verfolgt damit rein eheerhaltende Zwecke, nicht aber eine Absicherung des widersprechenden Ehegatten gegen ihm missliebige wirtschaftliche Folgen der Scheidung.

 

Normenkette

Türk. ZGB § 166

 

Verfahrensgang

AG Hamm (Urteil vom 13.06.2002; Aktenzeichen 30 F 327/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 13.6.2002 verkündete Urteil des AG – FamG – Hamm aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Berufung – an das AG zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien sind seit dem 28.5.1981 verheiratete und seit dem 16.11.2000 getrennt lebende Eheleute türkischer Nationalität. Aus der Ehe sind die Kinder Y., geboren am 17.12.1981, M., geboren am 5.6.1983, H., geboren am 13.3.1985, und F., geboren am 7.6.1990, hervorgegangen.

Der am 16.7.1963 geborene Antragsteller hat die Scheidung der Ehe beantragt und erklärt, dass es hinsichtlich des Sorgerechts für die gemeinsamen Kinder bei der gesetzlichen Regelung verbleiben solle.

Die am 11.1.1964 geborene Antragsgegnerin hat diesem Antrag widersprochen, nachdem sie zunächst selbst in einem vorangegangenen Verfahren (30 F 2/01 AG Hamm) einen gleich lautenden Antrag gestellt, später aber wieder zurückgenommen hatte. Sie hat eingewandt, auch sie halte ihre Ehe zwar für gescheitert, der Grund für die Zerrüttung der Ehe sei aber durch den Antragsteller verursacht und verschuldet worden, der eine außereheliche Beziehung zu einer anderen Frau – der Zeugin K. – aufgenommen habe. Nach wie vor könne sie – die Antragsgegnerin – die Untreue des Antragstellers nicht überwinden, lehne aber gleichwohl „aus wohl verstandenen wirtschaftlichen Gründen” im Interesse der Kinder eine Scheidung der Ehe ab. Die Antragsgegnerin hat daneben angekündigt, für den Fall der Durchführung des Ehescheidungsverfahrens einen Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge stellen zu wollen, und vorsorglich beantragt, den Versorgungsausgleich durchzuführen.

Das AG hat den Scheidungsantrag nach Anhörung der Parteien zurückgewiesen und gemeint, die Ehe der Parteien sei zwar gem. Art. 166 Abs. 1 ZGB n.F. zerrüttet, gleichwohl scheitere der Antrag aber gem. Art. 166 Abs. 2 ZGB n.F. am Einspruch der Antragsgegnerin, da nach Überzeugung des Gerichts das Verschulden des Antragstellers an der Zerrüttung der Ehe überwiege. Dieser habe durch sein fortgesetztes Beisammensein mit der Zeugin K. gegen den erklärten Willen der Antragsgegnerin die eheliche Solidarität wie auch die Gefühle der Antragsgegnerin in schwerwiegendem Maße verletzt.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Antragstellers. Der Antragsteller beanstandet das Verfahren des AG wegen fehlender Offenlegung der seiner Entscheidung zugrunde gelegten Bestimmungen des türkischen Zivilgesetzbuches in seiner seit dem 1.1.2002 geltenden Fassung als fehlerhaft. Daneben stellt er in Abrede, dass der Antragsgegnerin nach dem geänderten Scheidungsrecht überhaupt noch ein Einspruchsrecht zusteht und dass – sollte dies doch der Fall sein – dessen Voraussetzungen erfüllt sind. In diesem Zusammenhang bestreitet der Antragsteller insb. ein ihm zur Last fallendes – zumal überwiegendes – Verschulden an der Zerrüttung der Ehe. Er behauptet hierzu, bereits vor der Trennung habe die Ehe nur noch auf dem Papier bestanden, tatsächlich habe man sich bereits lange vorher auseinander gelebt. Das ihm von der Antragsgegnerin nachgesagte Verhältnis zu einer anderen Frau habe es nie gegeben. Abgesehen davon sei der Einspruch der Antragsgegnerin gegen die Ehescheidung auch rechtsmissbräuchlich, von ihr vorgetragene wirtschaftliche Erwägungen, die ein Festhalten an der Ehe rechtfertigen sollten, seien nicht gegeben, zumal die Antragsgegnerin bei ihrem Auszug 40.000 DM an sich genommen habe. Schließlich sei sein Scheidungsantrag aber auch deshalb begründet, weil die Antragsgegnerin ihn verlassen und ihre ehelichen Pflichte...

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