Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung des Hausarztes für Fehleinschätzung des konsultierten Facharztes; Zulässigkeit einer erst in zweiter Instanz auf den Facharzt erweiterten Klage

 

Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzlich darf ein Hausarzt der ihm mitgeteilten Einschätzung eines Facharztes vertrauen, es sei denn, dessen Sicht begegnet nach den sonstigen Erkenntnismöglichkeiten des Hausarztes erheblichen Zweifeln, weil sie nicht mit dessen eigenen Befunden oder sonstigen medizinischen Wahrnehmungen zu vereinbaren sind und daher Rückfragen bei dem Facharzt oder Erörterungen mit dem Patient gebieten.

2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein in erster Instanz nur gegen den Hausarzt geführter Prozess erstmals in zweiter Instanz auf den möglicherweise für den Gesundheitsschaden verantwortlichen Facharzt erstreckt werden kann.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 276, 278, 280, 611, 823, 831; ZPO §§ 263-264, 525, 533

 

Verfahrensgang

LG Trier (Aktenzeichen 4 O 297/11)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die gegen den Beklagten zu 1. gewandte Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich ohne Erfolgsaussicht ist, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Urteil erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Im Einzelnen ist zur Sach- und Rechtslage zu bemerken:

 

Gründe

1. Die Klägerin war seit 2002 Patientin der Praxis des Beklagten zu 1., wo sie hausärztlich versorgt wurde. Von dort überwies man sie am 16.3.2006 zu einer nephrologischen Untersuchung an die internistische Praxis des Beklagten zu 2., auf den die Klage in zweiter Instanz erstreckt worden ist. Anlass für die Überweisung war das Auftreten von Lidödemen gewesen.

Die Nieren der Klägerin waren bereits 1995 sonografisch und computertomografisch befundet worden. Dabei hatte man links eine Gewebsvermehrung festgestellt, die als unbedenklich eingestuft wurde.

Aufgrund einer nunmehr erneut durchgeführten Ultraschalluntersuchung teilte der Beklagte zu 2. in einem an die Praxis des Beklagten zu 1. gerichteten Arztbrief vom 6.4.2006 mit, dass es "keinerlei Anhalt für das Vorliegen einer Nierenerkrankung" gebe. Linksseitig sei eine nicht verdächtige 4 cm große Raumforderung vorhanden, bei der es sich um einen unklaren, möglicherweise als eingeblutete Zyste zu begreifenden Tumor handele. Es gehe um einen "Nierentumor, der laut der Patientin bereits mittels Bildgebung weiter abgeklärt worden war". Da "die Raumforderung von sonomorphologischen Kriterien nicht malignom typisch erschienen" sei, habe man diesem Befund "keine weitere Beachtung geschenkt".

Wie der Beklagte zu 1. vorgetragen hat, wurde die Klägerin gleichwohl durch den Beklagten zu 2. auf die Notwendigkeit regelmäßiger Kontrollen hingewiesen. Einen solchen Hinweis habe er dann auch seinerseits im August 2006 erteilt. Die Klägerin hat entsprechende Warnungen bestritten.

Am 20.6.2008 wurde sie letztmals in der Praxis des Beklagten zu 1. vorstellig, ohne dass der Nierenbefund bis dahin erneut zur Sprache gebracht worden wäre. Bei einer Sonografie des Bauchraums, die am 25.1.2011 in einer internistischen Praxis vorgenommen wurde, fand sich in der linken Niere ein 8 cm× 7 cm× 6,5 cm großer echoarmer Tumor, der als Nephrom eingestuft wurde. Daraufhin kam es am 1.2.2011 zur vollständigen operativen Entfernung der Niere.

Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin den Beklagten zu 1. auf die Zahlung eines mit mindestens 25.000 EUR zu beziffernden Schmerzensgelds und den Ausgleich vorgerichtlichter Anwaltskosten in Anspruch genommen sowie die Feststellung dessen weiter gehender Haftung begehrt. Sie hat ihm vorgeworfen, sie nicht über den Inhalt des Arztbriefs vom 6.4.2006 informiert und nicht auf das Erfordernis von Kontroll- und Therapiemaßnahmen hingewiesen zu haben. Wäre das geschehen, hätte sie den seinerzeit vorhandenen Tumor sogleich entfernen lassen, so dass der spätere Verlust der Niere hätte vermieden werden können.

Das LG hat einen Sachverständigen befragt und sodann die gegen den Beklagten zu 1. gerichtete Klage abgewiesen. Seiner Ansicht nach gab es für diesen im Hinblick auf den beschwichtigenden Inhalt des Arztbriefs vom 6.4.2006 keine Veranlassung zu irgendwelchen Warnhinweisen an die Klägerin. Unabhängig davon sei ungewiss, ob ein früher operativer Eingriff schadensmindernd gewesen wäre. Die Niere hätte möglicherweise auch dann nicht erhalten werden können, und Metastasen seien zu keiner Zeit entstanden. Dem erst nach Ende der mündlichen Verhandlung unterbreiteten Antrag, den Beklagten zu 2. als Mithaftenden in das erstinstanzliche Verfahren einzubeziehen, hat das LG nicht entsprochen.

Das greift die Klägerin mit der Berufung an. Sie erneuert ihr Klageverlangen - in Umstellung des Antrags auf Anwaltskostenersatz auf ein bloßes Feststellungsbegehren - unter Einbeziehung nunmehr auch des Beklagten zu 2. in den Prozess. Sie meint, dass der Beklagte...

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