Leitsatz (amtlich)

1. Der Anerkennungsversagungsgrund der Unvereinbarkeit mit einer zwischen denselben Parteien im Anerkennungsstaat ergangenen Entscheidung (Art. 45 Abs. 1c) Brüssel Ia-VO (EuGVVO n.F.), Art. 27 Nr. 3 LugÜ 1988, Art. 34 Nr. 3 LugÜ 2007 (LGVÜ II), Art. 5 Nr. 4 HUVÜ 73) setzt voraus, dass es sich bei der kollidierenden Entscheidung des Anerkennungsstaats um eine solche über den materiellen Anspruch handelt und nicht lediglich um eine Entscheidung in einem vorausgegangenen Anerkennungsverfahren.

2. Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen ist lediglich die formelle Vollstreckbarkeit des Titels; nicht erforderlich ist - jedenfalls bei unstreitigem Forderungsübergang - hingegen die Titelgläubigerschaft des Antragstellers im Anerkennungsverfahren.

3. Der nachträgliche Erfüllungseinwand ist - im Gegensatz zum Verfahren nach der EuUntVO sowie der Brüssel I-VO (EuGVVO) bzw. der Brüssel Ia-VO (EuGVVO n.F.) - als rechtsvernichtende Einwendung sowohl im Anwendungsbereich des HUVÜ 73 als auch des LugÜ 1988 im Vollstreckbarkeitserklärungsverfahren zu berücksichtigen (Abgrenzung zu BGH FamRZ 2015, 2144 und EuGH NJW 2011, 3506 Tz. 34 ff.).

 

Normenkette

Brüssel Ia-VO (EuGVVO n.F.) Art. 45 Abs. 1c); Brüssel I-VO (EuGVVO) Art. 34 f.; Brüssel I-VO (EuGVVO) Art. 35; Brüssel I-VO (EuGVVO) Art. 45; Brüssel Ia-VO (EuGVVO n.F.) Art. 45 f.; Brüssel Ia-VO (EuGVVO n.F.) Art. 46; EuUnthVO Art. 24; LugÜ 2007 (LGVÜ II) Art. 34 Nr. 3; LugÜ 1988 Art. 27 f., Art. 34 Abs. 2, Art. 27 Nr. 3; AUG § 59a; HUVÜ Art. 73 Art. 5 Nr. 4, Art. 5

 

Verfahrensgang

AG Koblenz (Beschluss vom 01.06.2016)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Koblenz vom 01.06.2016 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Obwalden (Schweiz) vom 16.12.1999, Az. Z 99/065/es, Ziff. V. und VI. in Verbindung mit Ziff. II. der Erkanntnis in der Fassung des dieses Urteil teilweise abändernden Urteils des Kantonsgerichts des Kantons Obwalden (Schweiz) vom 01./18.05.2009, Az. Z 06/039/dz, wird insoweit für vollstreckbar erklärt und zugunsten der Antragstellerin mit einer Teil-Vollstreckungsklausel versehen als darin Unterhalt bis zum 31.08.2016 zuerkannt worden ist, abzüglich einer Zahlung von 111.835,00 CHF am 17.12.2003 sowie einer weiteren Gesamtzahlung von 169.145,10 CHF per 24.01.2003.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

2. Die weiter gehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten beider Rechtszüge tragen die Antragstellerin zu 1/4 und der Antragsgegner zu 3/4.

4. Der Verfahrenswert wird unter teilweiser Abänderung der amtsgerichtlichen Wertfestsetzung für beide Rechtszüge auf bis 50.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Antragsgegner schuldet seiner geschiedenen Ehefrau und den gemeinsamen vier Kindern Unterhalt gemäß den rechtskräftigen Urteilen des Kantonsgerichts Obwalden (Schweiz) vom 16.12.1999 sowie vom 01./18.05.2009. Mit letzterem wurde das ursprüngliche Urteil für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis 31.12.2007 teilweise in Form einer Ermäßigung des zuerkannten Unterhalts abgeändert.

Die Antragstellerin leistete der geschiedenen Ehefrau und den gemeinsamen vier Kindern in der Vergangenheit "Kinder- und Familienalimente" in Höhe des vom Antragsgegner geschuldeten Unterhalts. Mit Verweis auf Art. 131a Abs. 2 Schweizer ZGB zum Ehegattenunterhalt und Art. 289 Abs. 2 Schweizer ZGB zum Kindesunterhalt, wonach "der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über[geht]", wenn "das Gemeinwesen für den Unterhalt auf[kommt]", hat die Antragstellerin beim Familiengericht Koblenz die Vollstreckbarkeitserklärung der vorgenannten und ihrem Antrag beigefügten Urteile beantragt.

Das Familiengericht hat dem Antrag mit dem Antragsgegner am 29.06.2016 zugestellten Beschluss vom 01.06.2016 vollumfänglich stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die am 26.07.2016 eingegangene sowie nach güteversuchsbedingtem Ruhen des Verfahrens innerhalb der bis zum 14.12.2016 gesetzten Frist begründeten Beschwerde des Antragsgegners. Mit dieser erstrebt er die vollständige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nebst Zurückweisung des Antrags, hilfsweise dies zumindest für den Zeitraum von Juli 2000 bis Dezember 2007.

Der Antragsgegner wendet ein, dass der angefochtene Beschluss gemäß Art. 45 Abs. 1c) Brüssel Ia-VO im Widerspruch zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 02.03.2011 zu Az. XII ZB 156/09 stehe. Dort sei der Antrag seiner vormaligen Ehefrau als der ursprünglichen Titelgläubigerin, die schweizer Unterhaltstitel für den Zeitraum von Juli 2000 bis Dezember 2007 für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckbar zu erklären, mit der Begründung abgewiesen worden, dass der Antragsgegner den rückständigen Unterhalt zum Teil geleistet gehabt habe und weil die dortige Antragstellerin infolge gesetzlichen Anspruchsübergangs auf das Gemeinwesen nicht mehr Anspruchsinhaberin sei. Die vorgenannte Entscheidung des Bundesgericht...

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