Leitsatz (amtlich)

Allein aus dem Ausmaß der Unterschreitung des Sicherheitsabstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug kann grundsätzlich - auch bei gravierender Unterschreitung - noch nicht auf vorsätzliche Begehungsweise geschlossen werden. 'Vielmehr sind regelmäßig Feststellungen zur Fahrweise des vorausfahrenden Fahrzeugs erforderlich, die ihrerseits zur Verringerung des Abstandes beigetragen haben könnten (abruptes Gaswegnehmen, Bremsen, plötzliches Ausscheren vor dem Betroffenen). Umstände, aufgrund derer der Tatrichter auf mindestens Eventualvorsatz bei Begehung der Abstandsunterschreitung schließen kann, sind etwa die Länge der gefahrenen Strecke, das Maß der Fahrpraxis aufgrund der gefahrenen Jahreskilometer und die Dauer des 'Besitzes der Fahrerlaubnis.

 

Normenkette

StVO § 4 Abs. 1; OWiG

 

Verfahrensgang

AG Mayen (Entscheidung vom 08.07.2021; Aktenzeichen 2030 Js 15588/21)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Mayen vom 8. Juli 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Mayen zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Am 8. Juli 2021 hat das Amtsgericht Mayen die Betroffene wegen vorsätzlicher Abstandsunterschreitung zum Vorausfahrenden (Tatzeit: 01.10.2020) zu einer Geldbuße von 500,-Euro verurteilt und gegen sie - abweichend vom Bußgeldbescheid ohne eine Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG - ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Gegen dieses dem Verteidiger am 17. August 2021 zugestellte Urteil wendet sich die Betroffene mit von ihrem Verteidiger am 12. Juli 2021 eingelegter Rechtsbeschwerde. In der Begründung vom 13. September 2021, taggleich bei Gericht eingegangen, werden mehrere Verfahrensrügen sowie die allgemeine Sachrüge erhoben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

die Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, dass die verhängte Geldbuße auf 320,- Euro herabgesetzt wird. Die Betroffene hat über ihren Verteidiger eine Gegenerklärung abgegeben.

II.

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG), form- und fristgerecht (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 341 Abs. 1 StPO) eingelegte sowie fristgerecht (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 345 StPO) und mittels Verteidigerschriftsatz (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 Abs. 2 StPO) begründete Rechtsbeschwerde erzielt auf die zulässig erhobene Sachrüge einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Die Sachrüge hat Erfolg, da ein Darstellungsfehler in der Beweiswürdigung durchgreift. Die Beweiswürdigung ist allein Sache des Tatrichters und seine Entscheidung vom Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich hinzunehmen. §§ 261 und 267 StPO verpflichten den Tatrichter jedoch, in den Urteilsgründen darzulegen, dass seine Überzeugung von den die Anwendung des materiellen Rechts tragenden Tatsachen auf einer umfassenden, von rational nachvollziehbaren Überlegungen bestimmten Beweiswürdigung beruht (vgl. BGH, Beschl. 2 StR 152/20 v. 18.11.2020 - juris). Der Tatrichter ist über den Wortlaut des § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO hinaus verpflichtet, die wesentlichen Beweiserwägungen in den Urteilsgründen so darzulegen, dass seine Überzeugungsbildung für das Beschwerdegericht nachzuvollziehen und auf Rechtsfehler zu überprüfen ist (vgl. KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl. § 267 Rn. 12 m.w.N.).

Dem werden die Ausführungen zu der Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung im vorliegenden Fall nicht gerecht. Selbst bei gravierender Unterschreitung des Sicherheitsabstandes kann - anders als etwa bei erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen innerhalb allgemein geltender Geschwindigkeitsbegrenzungen - nicht allein aus dem Ausmaß des Verstoßes auf Vorsatz geschlossen werden. Es sind vielmehr regelmäßig ergänzende Feststellungen zur Fahrweise des vorausfahrenden Fahrzeugs erforderlich, die ihrerseits zur Verringerung des Abstandes beigetragen haben könnten (abruptes Gaswegnehmen, Bremsen, plötzliches Ausscheren vor dem Betroffenen). Denkbar wäre auch, dass der Betroffene nur ganz kurz so dicht aufgefahren ist, weil er aufgrund der konkreten Verkehrssituation davon ausgehen durfte, der Vordermann werde, dem Rechtsfahrgebot folgend, die Überholspur unverzüglich freigeben (vgl. OLG Koblenz, Beschl. 1 Ss 293/00 v. 12.02.2000 - beck-online).

Umstände, aufgrund derer der Tatrichter im konkreten Fall auf mindestens Eventualvorsatz bei Begehung der Abstandsunterschreitung schließen kann, sind etwa die Länge der gefahrenen Strecke, das Maß der Fahrpraxis aufgrund der gefahrenen Jahreskilometer und die Dauer des Besitzes der Fahrerlaubnis (vgl. OLG Hamm, Beschl. 3 Ss OWi 351/04 v. 22.07.2004 - juris).

In den Urteilsgründen heißt es hierzu in den Feststellungen, dass sich der gemessene Abstand, der bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 126 km/h nur 17 Meter und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes betrug, im Bereich der Messstrecke zwischen 300 und 50 Meter vor dem Messpunkt nicht vergrößert habe. An anderer Stelle wird...

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