Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein 12-jähriger Schüler für die Folgen einer Schulhofrangelei haftet

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem altersentsprechend entwickelten 12 - jährigen ist ohne weiteres davon auszugehen, dass er die Gefährlichkeit eines judoähnlichen Griffs erkennt und sich der möglichen Folgen seiner Attacke bewusst ist.

2. Für die Folgen einer nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b SGB VII versicherten Schulhofrangelei haftet der Schädiger nur, wenn sich sein Vorsatz auch auf den Verletzungserfolg erstreckt.

3. Zur Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bei einem tätlichen Angriff eines 12 - Jährigen auf einen gleichaltrigen Mitschüler.

 

Normenkette

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b, § 104 Abs. 1, § 105 Abs. 1, § 106 Abs. 1 Nr. 1; BGB §§ 253, 823, 828 Abs. 3; StGB §§ 15, 223, 229

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Urteil vom 06.03.2013; Aktenzeichen 4 O 304/12)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Koblenz vom 6.3.2013 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das angefochtene Urteil und der Senatsbeschluss sind vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 12.000 EUR.

 

Gründe

Die Berufung ist aus den Gründen des Senatsbeschlusses vom 7.6.2013 unbegründet. Dort hat der Senat mitgeteilt:

"1. Der zum Tatzeitpunkt 13-jährige Kläger und der damals 12-jährige Beklagte sind Schüler einer Realschule in Neuwied. Während einer Pause in den Vormittagsstunden des 9.9.2010 warf der Beklagte den Kläger zu Boden, der durch den Aufprall eine gravierende Schulterverletzung erlitt. Die Einzelheiten des tätlichen Angriffs sind streitig.

Mit seiner Klage verlangt der Geschädigte ein auf mindestens 10.000 EUR zu bezifferndes Schmerzensgeld, Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden, Erstattung von Anwaltskosten sowie die Feststellung, dass der Beklagte vorsätzlich gehandelt habe.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten, u.a. mit dem Hinweis, es handele sich um einen Schulunfall.

2. Das LG hat den Kläger angehört (§ 141 ZPO), Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zum Gegenstand seiner mündlichen Verhandlung gemacht und auf die Haftungsbeschränkung nach dem siebten Buch des Sozialgesetzbuchs hingewiesen. Sodann hat der Einzelrichter die Klage mit der Begründung abgewiesen, es handele sich um einen nach § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b SGB VII versicherten Schulunfall, für den der Beklagte nur bei Vorsatz hafte. Dieser müsse sich auch auf den Verletzungserfolg erstrecken (BGH VersR 2012, 714). Hier fehle es an zureichenden Anhaltspunkten, dass der Beklagte insoweit zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt habe.

3. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er wiederholt, vertieft und ergänzt sein erstinstanzliches Vorbringen. Der Beklagte habe einen Griff aus einer Kampfsportart angewandt; schon das indiziere seine Verletzungsabsicht. Dass der Beklagte nach Auffassung des LG anlass- und motivlos gehandelt habe, schließe den Verletzungsvorsatz nicht aus.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des LG und weist auf Widersprüche in der Unfallschilderung des Klägers hin.

4. Die Berufung ist ohne Aussicht auf Erfolg; das LG hat richtig entschieden.

Die Klage scheitert an §§ 104 Abs. 1, 105 Abs. 1 SGB VII i.V.m. § 106 Abs. 1 Nr. 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b SGB VII. Danach kann Ersatz des Personenschadens, den ein von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasstes Schadensereignis verursacht hat, nur verlangt werden, wenn der Schädiger den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat.

Dabei muss der Vorsatz nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen (vgl. BGHZ 154, 11, 13 ff.; BGH in VersR 2008, 1407 Rz. 9; BAG in NJW 2003, 1890 f.; NJW 2004, 3360, 3364; VersR 2005, 1439, 1441; s. auch BGHZ 75, 328, 331; BAG, VersR 1976, 574, 575 f.; NJW 1989, 2838, jeweils zur Vorgängerregelung in § 636 RVO).

Der Kläger zieht zu Recht nicht in Zweifel, dass das Schadensereignis ein Schulunfall war, für den die gesetzliche Unfallversicherung eintritt. Die vom LG nicht erörterte Frage, ob der Beklagte die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte (§ 828 Abs. 3 BGB), ist bei einem altersentsprechend entwickelten 12 - jährigen ohne weiteres zu bejahen. Dass der Beklagte zum Zeitpunkt seines Angriffs auf den Kläger altersentsprechend entwickelt war, entnimmt der Senat den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, insbesondere den dortigen Vermerken der Polizeikommissarin F..

Die Antwort auf die entscheidende Frage, ob der Beklagte den Verletzungserfolg nur fahrlässig oder zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt hat, kann sich auch aus dem äußeren Geschehenshergang erschließen, so dass die Berufungsrüge, das LG habe den im einzelnen streitigen Vorfall durch Befragung von Zeugen klären müssen, vordergründig nicht von der Hand zu weisen ist.

Im vorliegenden Fall erlaubt jedoch schon die Sachdarstellung des Klä...

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