Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Ausbildungsunterhalt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Mangelnde Leistungsbereitschaft eines Kindes während der Minderjährigkeit führt nicht ohne weiteres zum Verlust eines Anspruchs auf Ausbildungsunterhalt. Dies gilt auch für ein vorübergehendes leichtes Versagen des Kindes.

2. Ein Kind kann während des Besuchs einer Vollzeit-Abendrealschule nicht darauf verwiesen werden, seinen Unterhaltsbedarf durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit selbst zu decken.

 

Verfahrensgang

AG Neuwied (Beschluss vom 12.01.2004; Aktenzeichen 19 F 13/03)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - FamG - Neuwied vom 12.1.2004 aufgehoben. Der Antragstellerin wird für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung bewilligt. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts bleibt dem AG vorbehalten.

 

Gründe

Die Antragstellerin ist die Tochter des Antragsgegners. Sie erstrebt im vorliegenden Verfahren Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Zahlung von Ausbildungsunterhalt ggü. dem Antragsgegner. Die Antragstellerin hat die Hauptschule ohne Abschluss verlassen und hiernach knapp 2 Jahre ohne Absolvierung einer Ausbildungsmaßnahme gearbeitet. Einen Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Eingliederungschancen, den die Antragstellerin am 15.10.2002 aufnahm, brach sie in der Folgezeit ab. Seit Sommer 2003 besucht sie eine Abendrealschule in M. mit dem Ziel, bis zum Sommer 2004 den Realschulabschluss (mittlere Reife) zu absolvieren. Hiernach möchte die Antragtstellerin eine Ausbildung zur Bürokauffrau absolvieren.

Das AG hat den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage auf Ausbildungsunterhalt mit der Begründung zurückgewiesen, die beabsichtigte Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Ein Anspruch auf Auszahlung von Ausbildungsunterhalt bestehe nicht mehr, da die Antragstellerin den Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungsmaßnahmen, aufgrund dessen sie ebenfalls eine Ausbildungsstelle zur Bürokauffrau hätte bekommen können, schuldhaft abgebrochen habe. Im Übrigen erlaube der Besuch einer Abendrealschule die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit zur Deckung des eigenen Unterhaltsbedarfs.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden; das Rechtsmittel ist auch begründet. Die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg; da die Antragstellerin überdies die Prozessführung unzweifelhaft auch nicht aus eigenen Mitteln bestreiten kann, ist ihr Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung zu bewilligen (§ 114 ZPO).

Der Antragstellerin steht auf der Grundlage ihres Vorbringens ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt ggü. dem Antragsgegner zu. Gemäß § 1610 Abs. 2 BGB umfasst der Unterhaltsanspruch des Kindes den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem den Begabungen und Fähigkeiten sowie dem Leistungswillen und den Neigungen des Kindes entsprechenden Beruf. Der Antragsgegner, der zum Zwecke der Finanzierung einer Ausbildung der Antragstellerin bis Mai 2003 noch keine Aufwendungen zu tätigen hatte, ist vor diesem Hintergrund verpflichtet, der Antragstellerin Unterhalt zu zahlen, um ihr den Realschulabschluss und die dann mögliche Ausbildung zur Bürokauffrau zu ermöglichen.

Ohne Erfolg macht der Antragsgegner in diesem Zusammenhang geltend, der Antragstellerin stehe ein Unterhaltsanspruch nicht zu, da sie einen richtigen Hauptschulabschluss nicht geschafft und vor allem einen vom Arbeitsamt geförderten Lehrgang zur Verbesserung beruflicher Bildungs- und Eingliederungsmaßnahmen fern geblieben sei, obgleich auch der erfolgreiche Abschluss dieses Lehrgangs ihr den Zugang zu einer Lehrstelle als Bürokauffrau ermöglicht hätte. Insoweit ist es zwar zutreffend, dass der Anspruch des Kindes auf Finanzierung einer Berufsausbildung vom Gegenseitigkeitsprinzip geprägt ist: Der Verpflichtung des Unterhaltsschuldners, eine Berufsausbildung zu ermöglichen, steht auf Seiten des Unterhaltsberechtigten die Obliegenheit ggü., ihn mit Fleiß und der gebotenen Zielstrebigkeit in angemessener und üblicher Zeit zu beenden. Nach Treu und Glauben muss der Verpflichtete Verzögerungen der Ausbildungszeit hinnehmen, die auf ein vorübergehendes leichteres Versagen des Kindes zurückzuführen sind; verletzt dieses allerdings nachhaltig seine Obliegenheit, die Ausbildung planvoll und zielstrebig aufzunehmen und durchzuführen, büßt es seinen Unterhaltsanspruch ein und muss sich darauf verweisen lassen, seinen Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen (vgl. BGH v. 4.3.1998 - XII ZR 173/96, MDR 1998, 600 = FamRZ 1998, 671 [672]; FamRZ 2001, 757 [758]; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Aufl., Rz. 295 m.w.N.).

Die Anwendung dieser Grundsätze führt indessen vorliegend nicht dazu, dass die Klägerin ...

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