Leitsatz (amtlich)

Zufallsfunde und -erkenntnisse, die bei einer polizeilich angeordneten Wohnungsdurchsuchung wegen "Gefahr im Verzug" gewonnen wurden, unterliegen jedenfalls dann einem Verwertungsverbot, wenn die Durchsuchungsanordnung objektiv willkürlich war und kein besonderes Allgemeininteresse an der Tataufklärung besteht.

Eine polizeiliche Durchsuchungsanordnung ist objektiv willkürlich, wenn keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen könnten, ein Aufschieben der Durchsuchung bis zum Erlass einer richterlichen Anordnung werde den Ermittlungserfolg gefährden.

 

Verfahrensgang

AG Linz (Entscheidung vom 13.02.2002)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Linz vom 13. Februar 2002 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten.

 

Gründe

I.

1.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts Linz vom 13. Februar 2002 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (220,7 g Marihuana mit einem THC-Gehalt von 1,6 % und 0,7 g eines Amphetamin-Coffein-Gemischs) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Betäubungsmittel wurden eingezogen.

Er hatte sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Grundlage des Schuldspruchs sind ausschließlich Erkenntnisse aus einer Durchsuchung seiner Wohnung am frühen Nachmittag des 13. April 2000, deren Verwertung er widersprochen hatte.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Revision des Angeklagten. Er wendet sich gegen die Verwertung der durch die auch nach Auffassung des Amtsgerichts rechtswidrige Durchsuchung seiner Wohnung gewonnenen Beweise.

2.

Dem Urteil liegt folgender, weitgehend vom Amtsgericht festgestellter und vom Senat im Wege des Freibeweises (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45 Auflage, § 244 Rdn. 7) durch Einsicht in die Akten 2080 Js 22688/00 - StA Koblenz ergänzter Sachverhalt zu Grunde:

Am Morgen des 13. April 2000 um 10:10 Uhr betrat ein bis heute nicht ermittelter Täter die Volksbankfiliale in B. (Westerwald), bedrohte den Filialleiter L. mit einer Pistole und erzwang die Herausgabe von ca. 17.000,00 DM. Anschließend flüchtete er mit einem alten Kleinkraftrad. Tatzeugen beschrieben ihn als einen etwa 1,70 m großen, untersetzten Mann mittleren Alters, der militärische Tarnkleidung und einen geschlossene Helm mit getöntem Vollvisier getragen habe.

Zur Tatzeit hielt sich der Angeklagte etwa 8 km Luftlinie vom Tatort entfernt in W. auf, wo er für die Zeugen W. und T. Gelegenheitsarbeiten verrichtete. Als Arbeitskleidung trug er einen Bundeswehrtarnanzug. Gegen Mittag fuhr er, einen Halbschalenhelm tragend, mit seinem alten Moped zu einer Grillstube in Bad H.. Dort wurde er bei der Fahndung nach dem Täter des Banküberfalls entdeckt, um 12:10 Uhr festgenommen und nach B. gebracht. Eine Einzelgegenüberstellung mit Tatzeugen führte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Der Zeuge L. gab an, Statur, Größe und Kleidung entsprächen dem Aussehen des Täters, wies jedoch darauf hin, dass dieser einen anderen Schutzhelm getragen habe. Die Zeugin H. war sich zunächst zwar sicher, den Angeklagten als Täter wiederzuerkennen, stellte bei einer Überprüfung um 13:45 Uhr aber fest, dass dessen mit einem neuen Auspuff ausgestattetes Moped andere Geräusche verursachte als das Täterfahrzeug, das nach ihrer Einschätzung einen "auffallend lauten Auspuff" gehabt hatte.

Der Angeklagte gab in einer ersten Befragung noch in B. an, sich zur Tatzeit in W. bei dem Zeugen W. aufgehalten zu haben.

Zwischen 13:45 Uhr und 15:00 Uhr durchsuchten Beamte des Polizeipräsidiums Koblenz die Wohnung des Angeklagten in W. und fanden dabei die eingangs genannten Betäubungsmittel. Eine richterliche oder staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Welcher Polizeibeamte die Durchsuchung wegen "Gefahr im Verzug" angeordnet hatte, ist den Akten ebenso wenig zu entnehmen wie die Gründe, die dazu geführt hatten. Fest steht, dass kein Versuch unternommen worden war, die Staatsanwaltschaft zu informieren, um auf diesem Weg (§ 162 Abs. 1 StPO) oder unmittelbar (§ 163 Abs. 2. S. 2 StPO) eine richterliche Durchsuchungsanordnung zu erhalten.

Der um 15:45 Uhr zu Hause vernommene Zeuge W. bestätigte das Alibi des Angeklagten. Bis zum frühen Abend gaben weitere Zeugen an, ihn zur Tatzeit in W. gesehen zu haben.

II.

Der Angeklagte ist unter Aufhebung des angefochtenen Urteil freizusprechen (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 1 StPO), weil die aus der Durchsuchung seiner Wohnung vom 13. April 2000 gewonnenen Erkenntnisse einem Beweisverwertungsverbot unterliegen und sonstige Beweise fehlen.

1.

Die Durchsuchung einer Wohnung ist ein schwerwiegender Eingriff in die durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Privatsphäre. Dem Gewicht dieses Eingriffes und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht, dass Art. ...

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